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ig brother<br />
64<br />
Der Infoladen<br />
„Zeitraffer“<br />
Als ich Mitte der 1990er Jahre<br />
nach Greifswald kam, kannte ich<br />
die Stadt nur <strong>als</strong> Durchreisender.<br />
Sie hatte den Ruf einer Gangsterstadt<br />
mit bürgerlichem Mief, die<br />
sowohl Idioten <strong>als</strong> auch Idealisten<br />
gebar. So etwas passierte in<br />
anderen Städten wohl auch, nur<br />
nicht in solch schief liegenden<br />
Relationen. Immerhin gab es<br />
eine kleine aber feine Szene,<br />
in der Platz für UtopistInnen,<br />
AnarchistInnen, u.a.,<strong>als</strong>o Leute<br />
da war, die sich wirklich was<br />
ganz anderes vorstellen konnten,<br />
<strong>als</strong> eine solch oberflächliche,<br />
auf ständige Wiederholung ausgerichtete<br />
Gesellschaft, in der<br />
jedeR gegen jedeN kämpft.<br />
Zur gleichen zeit gab es ein Hüttendorf<br />
gegen die Autobahn „A-<br />
20“ in Breechen vor Jarmen an<br />
der Peene. Einige Leute aus dem<br />
Dorf waren beinahe regelmäßig<br />
in der Hansestadt und da es im<br />
Jugendzentrum „klex“ einen<br />
ungenutzten, aber gut eingerichteten<br />
Infoladen gab, engagierten<br />
wir uns für selbigen und konnten<br />
sehr bald Öffnungszeiten,<br />
Volxküchen, Büchertische und<br />
Veranstaltungen realisieren. Es<br />
schien etwas in Bewegung zu<br />
kommen oder bereichert zu<br />
werden, denn einige Leute und<br />
Gruppen waren ja vor Ort schon<br />
oder immer noch aktiv. Nun gab<br />
es wieder einen Infoladen und<br />
der hieß nach wie vor “Zeitraffer“.<br />
Seinen Ursprung hatte er im<br />
„AJZ“ am Karl-Marx-Platz, doch<br />
wechselte er bald in einen Raum<br />
des nahe gelegenen Jugendzentrums<br />
„klex“, wo er von nun an<br />
Interessierten offen stand.<br />
Infoläden gab es in den alten<br />
Bundesländern flächendeckend<br />
seit den 1980er Jahren, punktuell<br />
aber auch schon früher. Sie<br />
stellten einen selbst bestimmten<br />
Raum für Austausch, Diskussion<br />
über politische, gesellschaftliche<br />
und soziale Themen und natürlich<br />
Bildung dar. Eine linke bzw.<br />
libertäre Kommunikations- und<br />
Informationsstruktur, die sich<br />
nicht kriminalisieren ließ und<br />
nichtkommerziell, <strong>als</strong>o<br />
Bildet Euch - Bildet Banden!<br />
Interview mit zwei Infoladen-Aktivistinnen<br />
Der Infoladen ist ein offener Raum für<br />
Informationen, politische Organisierung<br />
und inhaltlichen Austausch. Den Laden<br />
gibt es seit Mitte der 90er im Klex, zwischenzeitlich<br />
war er jedoch verwaist. 2004<br />
fand sich eine neue Crew, die seitdem den<br />
Infoladen betreut. Der <strong>Likedeeler</strong> hat mit<br />
zwei der NeuGründerinnen gesprochen.<br />
<strong>Likedeeler</strong>: Wie kam es zu der Neueröffnung<br />
des Ladens? Einige Jahre lief hier ja nicht so<br />
viel.<br />
Zora: Also anfangs waren wir drei Leute, die politisch<br />
interessiert waren. Und [zu Pippi] dann<br />
wart ihr halt irgendwann einmal in Berlin...<br />
Pippi: ...ja, ich war mit einer Freundin in Berlin.<br />
Da haben wir von Infoläden gehört, hatten aber<br />
keine Ahnung was das ist, sind da hingegangen,<br />
wollten uns das einmal angucken. Da lag<br />
dann eine Liste von Infoläden in Deutschland<br />
aus und wir haben festgestellt, dass es auch in<br />
Greifswald einen Infoladen gibt. Wir waren total<br />
erstaunt und haben dann, zurück in Greifswald,<br />
drei Monate lang versucht den Infoladen<br />
ausfindig zu machen (lacht).<br />
Als wir dann endlich den Kontakt zu Diemo<br />
gefunden hatten, ging dann hier alles relativ<br />
schnell. Wir haben ihn angerufen, einen Termin<br />
gemacht und schon saßen wir im Infoladen.<br />
Wir waren erstmal ganz erstaunt und verblüfft,<br />
was es hier für eine Menge an Materialien, Broschüren<br />
und Büchern gab. Das ganze wirkte<br />
aber alles recht ungeordnet und wir hatten den<br />
Eindruck, dass es seit längerem keine aktiven<br />
Leute im Laden mehr gegeben hatte. Danach<br />
haben wir das alles in Absprache mit Diemo<br />
wiederbelebt. Aber wir haben da noch gar nicht<br />
gewusst, worauf wir uns da wirklich einlassen.<br />
L: Und wie alt ward ihr, <strong>als</strong> ihr den Laden übernommen<br />
habt?<br />
P./Z.: Fünfzehn.<br />
L: Hat euch der Infoladen auch persönlich was<br />
gebracht?<br />
Z: Es hat insofern etwas gebracht, <strong>als</strong> dass man<br />
die ganzen Leute in der linken Szene in Greifswald<br />
kennenlernt. Und auch hier im Laden...<br />
Also einfach richtig interessant. Weil hier gibt<br />
es ja Massen an Informationen und was man<br />
hier alles finden kann. Es war schon ziemlich<br />
erschlagend, <strong>als</strong> wir das erste Mal hier rein sind,<br />
wieviele Sachen es hier gibt. Es war auch richtig<br />
interessant etwas über die Geschichte der linken<br />
Szene in Greifswald zu erfahren.<br />
P: Und außerdem haben wir hier einen Raum<br />
gefunden, um uns zu organisieren. Von wo aus<br />
später Konzerte, Vorträge, Volksküche und ein<br />
Infocafé ausgingen. Ein Raum halt, wo mensch<br />
sich mit Leuten treffen, diskuttieren und gemeinsame<br />
Aktionen planen kann.<br />
L: Hattet ihr am Anfang Probleme bei eurer Arbeit<br />
im Infoladen? Hattet ihr das Gefühl, gleich<br />
ernstgenommen zu werden?<br />
Z: Naja eigentlich nein. Am Anfang war es<br />
schon bisschen schwierig. Das liegt an der gesamten<br />
Hausstruktur im Klex. Weil das alles alte<br />
verkrustete Strukturen sind und weil hier jeder<br />
jeden kennt und alle leute wissen, was sie voneinander<br />
halten sollen. Klar gabs da am Anfang<br />
Vorurteile: ‚ja ja, klar - da trifft sich die antifa<br />
und polit-spießer‘ - keine Ahnung so‘ne Sachen<br />
halt. Man muss sich hocharbeiten, oder weiss<br />
ich nicht, solange man die Leute nicht halbwegs<br />
kennengelernt hat, ist es nicht so leicht im Klex.<br />
Die Struktur ist halt nicht so wirklich offen.<br />
P: Ich habe den Eindruck, daß wir von vielen<br />
Menschen in Greifswald zu Beginn eher belächelt<br />
und nicht wirklich ernst genommen wurden.<br />
Meiner Meinung nach mußten wir uns<br />
schon ganz schön profilieren, bevor wir <strong>als</strong><br />
politisch agierende Menschen wahrgenommen<br />
wurden. Aber natürlich sind auch Leute auf uns<br />
zugekommen und haben uns Hilfe angeboten.<br />
Ich hätte mir jedoch gewünscht, dass es mehr<br />
Menschen uns etwas offener gegenüber gestanden<br />
hätten, deshalb ist es für mich auch so<br />
wichtig, gerade junge Leute, die was anfangen<br />
wollen, so gut wie möglich zu unterstützen.<br />
L: Wer ist euer Hauptpublikum<br />
vom Infoladen?<br />
P: anpolitisierte Jugendliche... (lacht)<br />
Z: Ja...unterschiedlich, <strong>als</strong>o anfangs wars mehr<br />
unser Freundeskreis und viele Leute eben auch<br />
vom Klex. Ja und nachdem wir jetzt auch ein<br />
bisschen Werbung gemacht haben...sind auch<br />
ein paar andere Leute hergekommen. Aber es<br />
sind halt noch etwas wenig Leute.<br />
P: Aber es kommen auch Leute aus anderen<br />
Städten, aus der Umgebung hierher...z.B. aus<br />
Grimmen, Wolgast, von der Insel Usedom,<br />
Demmin...<br />
L: Wie würdet ihr eure eigene Bedeutung für<br />
die politische Kultur Greifswalds und Vorpommerns<br />
einschätzen? Glaubt ihr dass es Einfluß<br />
gehabt hat, dass der Infoladen wiederbelebt<br />
wurde?