altlandkreis - Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel - Ausgabe Mai/Juni 2023

Dießen | Dicke, tätowierte Männer,
die vor lauthals grölenden,
volltrunkenen Fans drei Pfeile auf
eine 2,37 Meter entfernte Scheibe
werfen. „Die, die damals den
Kopf geschüttelt haben, als ich
vom Tennis zum Darts gegangen
bin, haben es hinterher als allererstes
gewusst“: Darts boomt.
Auch in Deutschland. Ein Garant
dafür ist Sportkommentator und
TV-Moderator Elmar Paulke, 53,
aus Dießen am Ammersee. Der
gebürtige Rheinländer kommentiert
seit zwei Jahrzehnten fast
alle wichtigen Darts-Spiele, die
live im Fernsehen übertragen
werden. Wichtigstes Werkzeug
dabei: Seine Stimme, die ihm
zu bundesweiter Bekanntheit
verholfen, und in namhafte Unterhaltungsshows
gebracht hat.
Zum Beispiel „Schlag den Star“
oder „König der Kindsköpfe“. Im
großen Interview auf der Roten
Couch verrät der Vater von drei
Kindern, warum er von Schwabing
nach Wilzhofen, Iffeldorf
und schließlich Dießen gezogen
ist. Ob die Internetverbindung im
bayerischen Oberland stabil genug
ist für Live-Kommentare aus
dem Keller seiner Wohnung. Wie
er seine Erfahrungen aus dem
Sport in hiesige Unternehmen
transportiert. Welche Bedeutung
der Hohe Peißenberg für ihn hat.
Und wie es „altlandkreis“-Leser
zum Darts-Profi schaffen könnten.
Herr Paulke, im Rahmen einer
Darts-WM kommentieren Sie drei
Wochen lang acht (!) Stunden am
Tag. Was hilft Ihnen bei kratzigem
Hals, bei drohendem Stimmverlust?
Bin inzwischen so erfahren,
dass ich genau weiß, in welcher
Tonlage meine Stimme wie
beansprucht wird. Wenn es zu
emotional wird während einer
Übertragung, darf ich nicht zu
hoch aus der Stimme rausgehen,
sonst wäre ich am nächsten Tag
heiser. Aber ohne Leidenschaft
geht’s natürlich auch nicht. Sport
„Walk & Talk“ an der Uferpromenade: Elmar Paulke (li.) und „altlandkreis“-
Redakteur Johannes Schelle auf dem Weg zum Naturbeobachtungsturm.
ist Emotion! Deshalb immer mit
dabei: Eine Kanne voll Ingwer-
Tee – das nimmt die Entzündungen
raus.
Sie können Darts-Spiele auch von
zuhause aus kommentieren?
Fans hören das nicht so gerne,
möchten, dass wir Kommentatoren
vor Ort sind, was jedoch
aus Kostengründen nicht immer
möglich ist. Oft kommentiere ich
im Studio bei DAZN in München,
manchmal auch von zuhause.
In meinem Keller habe ich eine
Kommentatoren-Einheit mit
Headset-Mikro und Bildschirm.
Wir machen das jetzt seit rund
zwei Jahren – dank stabiler Internetverbindung,
die wir hier in
Dießen haben, ist das kein Problem.
Vor nur einem Bildschirm?
Letztlich sehe ich zum Kommentieren
auch nur das Bild, das der
Fernsehzuschauer sieht, schaue
es aber anders an.
Inwiefern?
Ich achte mehr auf Kleinigkeiten,
auf Details. Da im Darts der
athletische Aspekt wie beispielsweise
im Fußball eine intensive
Grätsche wegfällt, musst du umso
genauer auf Kleinigkeiten wie
marginal verändernde Gesichtszüge
achten, diese richtig lesen,
darauf eingehen und so ein Kommentieren
abwechslungsreich
und unterhaltsam gestalten.
Geboren und aufgewachsen in
Bergisch-Gladbach, Diplomsport
mit Schwerpunkt Publizistik an
der Sporthochschule Köln studiert,
dann, mit 28, nach Bayern gezogen.
Warum?
Ich habe relativ bald nach Abschluss
meines Studiums eine
Festanstellung beim DSF bekommen,
heute Sport1, und dafür
mein geliebtes Rheinland Richtung
München-Schwabing verlassen.
Das war 1998.
Wie wurden Sie damals aufgenommen
– der Bayer kann ja schon
ziemlich grantig sein?
Ich habe mich wirklich schwergetan,
weil der Rheinländer
ganz anders gestrickt ist als der
Münchner. Nur ein Beispiel: Ich
wohnte vier Jahre lang in der
gleichen Wohnung, ging vier
Jahre lang zum gleichen Bäcker
und dieser Bäcker gab mir vier
Jahre lang das Gefühl, dass ich
keiner aus seiner Hood bin. Das
würde dir in Köln nicht passieren.
Da frägt dich der Verkäufer nach
spätestens einer Woche: Hey, biste
neu hier? Und schon ist man im
Gespräch und integriert.
Ein guter Grund, hinaus aufs Land
zu ziehen.
Fanden wir auch. Wilzhofen bei
Weilheim war für mich und meine
heutige Ex-Frau der Test, ob für
uns Landleben funktioniert. Und
es war auf Anhieb herrlich – viel
Natur, viel Mountainbike und ein
ruhigerer, freundlicherer Umgang.
Dann kamen nach und nach unsere
drei Kinder zur Welt. Spätestens
da war klar, dass ein Stadtleben
nicht mehr in Frage kommt – allein
die Vorstellung, mit drei kleinen
Kindern durch diese hektische
Stadt zu gehen, würde mich kirre
machen. Aus Platzgründen sind
wir zwischenzeitlich von Wilzhofen
nach Iffeldorf gezogen.
Inzwischen leben Sie, seit 2015, in
Dießen am Ammersee – eine Art
erfüllter Lebenstraum?
Kann man tatsächlich so sagen,
weil Dießen hipper, offener und
herzlicher ist als so manch spießiges,
bayerisches Nest. Ich habe
auch gehört, dass es hier in den
1960er Jahren schon Homo-Partys
gab. Das sagt viel aus über die Lockerheit
und Toleranz der künstlerisch
und handwerklich begabten
Dießener. Außerdem schätze ich
die Nähe zum Ammersee und zur
Natur, die hier in alle Richtungen
wunderschön ist.
Sie sind SPIEGEL-Bestsellerautor,
haben mit „Darts: die Erde – eine
Scheibe“, „Game on! Die verrückte
Welt des Darts“ und „Perfect Game:
Eine neue Ära im Profi Darts“ drei
Bücher geschrieben. Warum ist
diese Welt des Darts so verrückt?
Weil Sportstars, die abgefeiert
werden wie die Helden, grundsätzlich
nicht die Stars in unserer
Gesellschaft sind. Dartsspieler
aber sind Menschen aus der Arbeiterklasse,
weshalb die Identifikation
der Fans mit den Spielern
hier unglaublich groß ist. Außerdem:
Wenn ich Christiano Ronaldo
Fußball spielen sehe, weiß ich als
Zuschauer relativ schnell, dass ich
das nicht leisten kann. Wenn ich
aber einem Michael van Gerwen
beim Darts-Spielen zugucke und
selber bei mir zuhause im Keller
mal eine 180 werfe, habe ich immer
das Gefühl: So weit weg bin
ich von diesen Topspielern gar
nicht.
In Wahrheit aber sind die Fans
auch im Darts meilenweit von den
Leistungen der Weltranglistenspieler
entfernt. Was unterscheidet die
Profis von den Kneipen- und Kellerspielern?
Die Fähigkeit, unter Druck Topleistungen
abzurufen. Profis haben
eine unfassbare Präzision, eine
unfassbare Konstanz. Wir reden
hier aber auch von Spielern, die
fünf, sechs Stunden am Tag trainieren.
Und richtig viel Geld verdienen.
Im Darts werden mittlerweile
Preisgelder im zweistelligen Millionenbereich
ausgezahlt, hinzu
kommen lukrative Sponsorenverträge.
Die besten Spieler verdienen
ein paar Millionen Euro im
Jahr.
Konstanz. Präzision. Welche Eigenschaften
braucht es noch, um auf
allerhöchstem Darts-Niveau performen
zu können?
Die motorische Fähigkeit spielt im
Darts ab einem gewissen Niveau
eine untergeordnete Rolle. Es ist
ein Mentalsport. Ähnlich wie beim
Golf und Tennis geht es darum,
vom Kopf her den Fokus halten zu
können. Wir kennen alle dieses
innere Gespräch, wenn du Zweifel
hast und anfängst, nachzudenken.
Diese Jungs schaffen es, im entscheidenden
Moment genau das
auszublenden. Das klingt sehr einfach,
ist im Wettkampf jedoch extrem
schwer, weil du im Darts viele
Dinge hast, die dich ablenken können.
Der Gegner. Die Zuschauer.
10 | altlandkreis