01.06.2023 Aufrufe

Stadtstreicher 06-08.2023

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Fotos: Nasser Hashemi, privat<br />

DER KONZERT-<br />

MEISTER<br />

Von der überheblichen Dummheit des<br />

Regietheaters: »Der Freischütz«<br />

Ja, denn Dummheit ist dabei immer das<br />

Eine: wie da Abziehbilder als Figuren, Klischees<br />

und Versatzstücke als Handlung und<br />

schließlich zum Steinerweichen standardisiertes<br />

Gerede als Dialog verkauft werden. Kurz:<br />

wie da Regisseur oder Regisseuse eine Soap abliefern<br />

statt des Werks, das sie aufführen sollen; und<br />

noch diese Soap auf einem so erbärmlichen Niveau,<br />

dass es selbst den Machern von »Sturm der<br />

BÜHNE<br />

Liebe« die Schamesfarbe Roter Rosen ins Gesicht<br />

treiben würde. Da wird das Stück regelmäßig in<br />

die Gegenwart »verlegt« – und dabei so gründlich<br />

in irgendeine Schublade verlegt, dass bei seiner<br />

Aufführung rein gar nichts mehr von ihm zu finden<br />

ist. Und in die Gegenwart wird es deshalb verlegt,<br />

weil es nach dem Willen der Regie-renden auf der<br />

Bühne einfach nichts geben darf, was aus einer anderen<br />

Zeit stammt, nichts, was von anderen Ver-<br />

hältnissen als den unseren erzählt, und nichts, was<br />

überhaupt erzählt, also etwas erschafft, was wir<br />

nicht gewohnheitsmäßig kennen. Statt eben dem<br />

zur Wirklichkeit zu verhelfen, was Theater ausmacht,<br />

verpflichten sie uns auf Dummheiten, mit<br />

denen sie unsere Wirklichkeit zur Soap verkürzen.<br />

Das geht bei dem jetzt neu aufgelegten Chemnitzer<br />

»Freischütz« so: Statt Wald und Teufel, Flur<br />

und Försterei – ein Bauunternehmen; wobei die<br />

gewählte Branche nichts zu bedeuten hat als die<br />

befremdliche Tatsache, dass ausgerechnet diese<br />

Leute ausschließlich unfertige Häuser bewohnen<br />

und wir also einen Abend lang auf das öde, stimmungslose<br />

Gelände einer Baustelle blicken müssen.<br />

Der Unternehmer: Vater einer Tochter, die er<br />

missbraucht; ein junger Angestellter: wird von den<br />

anderen gemobbt; Arbeiter: trinken Bier und sind<br />

hinter den Weibern her; ein Böser:<br />

hat offenbar Leute umgebracht, die<br />

ihn aber gerechterweise mit Lautsprecherstimmen<br />

aus dem Off verfolgen;<br />

die Tochter: hängt zuhause<br />

rum und kuckt Soaps; eine Freundin:<br />

hat ihren eigenen Kopf und macht,<br />

was sie für richtig hält, beziehungsweise<br />

redet in einer Tour davon; ein<br />

Politiker: korrupt, stachelt Leute mit<br />

rechten Parolen auf; ein Polizist:<br />

natürlich auch korrupt, muss aber<br />

außerdem schwer einen an der Rassel<br />

haben, da er singend weise Reden<br />

schwingt – den Text der Opernarien<br />

nämlich mag Frau Regisse denn doch<br />

nicht in ihr Szene-Gewäsch umdichten;<br />

und so passt, was die Bühne an<br />

Mist bietet, zu Carl Maria von Webers<br />

Musik und Gesang stets wie die<br />

Faust, nein, wie ein Vorschlaghammer<br />

aufs Auge.<br />

Zum Ausgleich dafür aber werden<br />

noch zusätzliche Themen »angesprochen«<br />

– und ich sehe die Regie-Mannschaft<br />

geradezu vor mir,<br />

wie sie sich über ihre Sticker-Hefte<br />

beugt und hier und da einen abzupft,<br />

um ihn irgendwo draufzukleben, wo er nicht interessiert.<br />

Natürlich, der Missbrauch gehört dazu<br />

und das Mobbing, aber auch Gemauschel am Bau<br />

mit »Kollateralschäden«, die dabei anfallen; ungesunde<br />

Ernährung, nämlich Chips statt Gurkensmoothie;<br />

Gewalt, die von Männern ausgeht; das<br />

Mädchen, das sich ritzt; Leute, die auf Menschen<br />

schießen, und so fort. Kein Zweifel, das alles gibt<br />

es wirklich. Aber dass es das alles wirklich gibt

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!