Art Quarterly - Luxury can be Art
Art Quarterly ist ein Magazin für alle Kunst- und Kulturliebhaber. Neben zahlreichen Informationen über die aktuelle Kunstszene und den zurzeit laufenden Ausstellungen in Österreich und Deutschland präsentieren wir Ihnen auch immer die aktuellen Top-Beauty-Trends.
Art Quarterly ist ein Magazin für alle Kunst- und Kulturliebhaber. Neben zahlreichen Informationen über die aktuelle Kunstszene und den zurzeit laufenden Ausstellungen in Österreich und Deutschland präsentieren wir Ihnen auch immer die aktuellen Top-Beauty-Trends.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ART HISTORY<br />
Signatur. Nachdem Hans a<strong>be</strong>r <strong>be</strong>reits 1537<br />
im Alter von nur 26 Jahren verstarb, bildeten<br />
Lucas der Ältere und Lucas der Jüngere, die<br />
nicht miteinander können, eine <strong>Art</strong> unheiliger<br />
Allianz – denn sie sind nicht in der Lage,<br />
gänzlich aufeinander zu verzichten.<br />
1<br />
(1) L.C.D.J., DESSAUER ABENDMAHL oder "Das<br />
A<strong>be</strong>ndmahl der Reformatoren", 1565, Epitaph für<br />
den Dessauer Fürsten Joachim – hier porträtiert<br />
sich CRANACH DER J ÜNGERE ein einziges mal selbst,<br />
als Mundschenk (2) L.C.D.J., KURFÜRST AUGUST<br />
VON SACHSEN (1526-1586), nach 1565, Öl auf Leinwand<br />
(3) L.C.D.J., KÄUFLICHE LIEBE, Teil eines Paars,<br />
vor 1565, Öl auf Holz.<br />
2<br />
Leider neigte auch die frühe Cranachforschung<br />
des 17. Und. 18. Jahrhunderts die<br />
schwächeren Werke sakrosankt dem Jüngeren<br />
zuzuschrei<strong>be</strong>n, was erneut zu einer<br />
Herabwürdigung seines Œuvres führte. Im<br />
19. Jahrhundert kam es dann durch zahllose<br />
romantisierende Kunsthistoriker zu einer<br />
regelrechten Verklärung des Renaissancemalers:<br />
Als einem vom steten Ringen nach<br />
eigener Perfektion <strong>be</strong>seeltem und zumeist<br />
einsamen Künstler, der zwischen den Bereichen<br />
Genie und Wahnsinn eine <strong>Art</strong> Drahtseilakt<br />
vollführt; man denke nur an Albrecht<br />
Dürer, Leonardo da Vinci oder Michelangelo<br />
Buonarroti. Letzterer zog im Übrigen<br />
seine aus Hundefellen gefertigten Schuhe so<br />
ungern aus, dass als er sich schließlich doch<br />
einmal dazu entschloss, sich <strong>be</strong>reits die Haut<br />
von den Füßen löste – so viel zur schmalen<br />
Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.<br />
A<strong>be</strong>r auch in dieses Bild wollten die Werkstatt<strong>be</strong>trei<strong>be</strong>r<br />
nicht wirklich passen, sie waren<br />
weder Genies noch Wahnsinnige, <strong>be</strong>stenfalls<br />
von ihrer Ar<strong>be</strong>it Besessene. A<strong>be</strong>r auch in<br />
diesem permanenten Schaffensdrang konnte<br />
der Jüngere stets nur im ü<strong>be</strong>rgroßen Schatten<br />
seines Vaters stehen, der als Gründer der<br />
Werkstatt der Vorreiter der Reformation und<br />
ü<strong>be</strong>rhaupt als Säule der Gesellschaft galt.<br />
Lucas der Jüngere, war sozusagen dazu verdammt,<br />
der ewige Sohn zu blei<strong>be</strong>n, sodass<br />
Zeitgenossen ihn spöttisch als „der junge<br />
Herr Cranach, von Beruf Sohn“ <strong>be</strong>nannten.<br />
Im krassen Gegenzug zu einer Dynastie<br />
wie etwa jener der Bruegels, die stark die<br />
europäische Malerei des 17. Jahrhunderts<br />
<strong>be</strong>einflussten, war <strong>be</strong>i den Cranachs keinerlei<br />
Spezifikation erwünscht. Während etwa<br />
Jan Bruegel der Ältere, sich den Beinamen<br />
Samtbruegel aneignete, Pieter Bruegel gerne<br />
als der Bauernbruegel <strong>be</strong>zeichnete wurde<br />
und Pieter Bruegel der Jüngere sogar<br />
so weit ging, sich als der Höllenbruegel zu<br />
<strong>be</strong>zeichnen; genügten sich die Cranachs als<br />
„Cranachs“ – oder vielmehr als malerische<br />
Universaltalente. Man könnte mit Fug und<br />
Recht sagen, dass man eine starke Familienmarke<br />
aufzubauen suchte, wer also einen<br />
Cranach in Auftrag gab, der wusste auch,<br />
LUCAS CRANACH DER ÄLTERE (1472–1553), Judith mit dem Haupt des Holofernes, etwa 1530, Öl auf Lindenholz<br />
was er <strong>be</strong>kommen würde, nämlich künstlerische<br />
Qualität auf höchstem Niveau –<br />
allerdings nicht selten frei von jeglichem<br />
allegorischen Ideenreichtum. Böse Zungen<br />
<strong>be</strong>haupteten auch, dass man <strong>be</strong>i den Cranachs<br />
sogar aus umfangreichen Katalogen<br />
mit Vorschaugrafiken aussuchen konnten.<br />
Zeit seines Le<strong>be</strong>ns schufen die <strong>be</strong>iden<br />
Künstler grandiose Werke, hintergründige<br />
Porträts und teils zotenhafte und bösartige<br />
Allegorien und dennoch wurde dem Sohn<br />
nie die Anerkennung zu Teil, die ihm erst<br />
ab dem 19. Jahrhundert nach und nach angedeiht.<br />
Selbst in der Trauerrede, die am 14.<br />
Januar 1586 für ihn vom Pfarrer der Witten-<br />
<strong>be</strong>rger Schlosskirche gehalten wurde, verstrickte<br />
der Geistige die Le<strong>be</strong>n von Vater und<br />
Sohn so sehr, dass stellenweise die Idee aufkeimen<br />
könnte, es sei der Nachruf auf den<br />
Vater und nicht jener auf den Sohn. So war<br />
er auch im Tod an das väterliche Vermächtnis<br />
gekettet und wird wohl bis in alle Ewigkeit<br />
im Schatten des Älteren eine eher klägliche<br />
künstlerische Anerkennung erfahren.<br />
Vielleicht ruhte in dieser Verkennung seines<br />
eigentlichen Werkes auch ein gewisses Maß<br />
an Resignation, sodass es auch kein einziges<br />
Selbstbildnis von Lucas dem Jüngeren gibt.<br />
Lediglich in einer A<strong>be</strong>ndmahlszene, die er<br />
um 1565 als Epitaph für Fürst Joachim von<br />
Anhalt geschaffen hatte, porträtierte er sich<br />
als Mundschenk. Ob er nun tatsächlich ein<br />
durch und durch <strong>be</strong>scheidener Mann war<br />
oder einfach einer jener Söhne, die es nie wagen,<br />
aus dem Schatten des Ü<strong>be</strong>rvaters herauszutreten,<br />
Tatsache ist allerdings, dass nur<br />
wenige Künstler der Renaissance so schäbig<br />
<strong>be</strong>handelt wurden wie Lucas Cranach der<br />
Jüngere, denn wer nur einen flüchtigen Blick<br />
auf sein Porträtgemälde des Kurfürsten<br />
August I. von Sachsen aus den Jahren<br />
1565/70, welches übrigens in Wien zu <strong>be</strong>wundern<br />
ist, wirft – oder auch nur den ü<strong>be</strong>rreich<br />
verzierten Altar, der 1571 für die Herren von<br />
Schloss Augustusburg in Sachsen entstanden<br />
ist, <strong>be</strong>trachtet, der wird von der Größe<br />
des Jüngeren gewiss voll und ganz in seinen<br />
Bann gezogen. Als außergewöhnlich mögen<br />
auch noch die <strong>be</strong>iden Porträts von Martin<br />
Luther und Philipp Melanchthon sein – <strong>be</strong>ide<br />
aus 1562 – die der Nachwelt diese <strong>be</strong>iden<br />
großen Reformatoren erhalten ha<strong>be</strong>n.<br />
3<br />
Was nun a<strong>be</strong>r die Werkstatt selbst <strong>be</strong>trifft,<br />
die im Übrigen missgünstiger Weise als die<br />
„Witten<strong>be</strong>rger Bilderschmiede“ <strong>be</strong>zeichnet<br />
wurde, so ist deren Output auch nach heutigen<br />
Kriterien als gigantisch zu <strong>be</strong>werten. So<br />
sollen in etwa 5000 Werke entstanden sein,<br />
von denen mindestens an die 1000 bis heute<br />
erhalten sind, viele davon in Privat<strong>be</strong>sitz der<br />
Familien der ursprünglichen Auftragge<strong>be</strong>r.<br />
Diese Hyperproduktivität <strong>be</strong>i immer konstantem<br />
künstlerischem Anspruch lies natürlich<br />
auch das Geld im Kasten klingeln und<br />
so gehörte 1573 Lukas Cranach der Jüngere<br />
zu den sechs reichsten Bürgern Witten<strong>be</strong>rgs.<br />
Spät, sehr spät, nämlich knapp 500 Jahre nach<br />
seiner Geburt, wurde Lucas Cranach dem Jüngeren<br />
schließlich doch noch die Anerkennung<br />
zu Teil, die er zweifellos verdient, indem ihm<br />
die Stadt Witten<strong>be</strong>rg unter dem Titel „Cranach<br />
der Jüngere 2015 – Entdeckung eines Meisters“<br />
eine umfangreiche Personale widmete.<br />
64 AQ FRÜHJAHR/SOMMER 2021 www.art-quarterly.com<br />
www.art-quarterly.com<br />
FRÜHJAHR/SOMMER 2021 AQ 65