AUTOINSIDE Ausgabe 2 – Februar 2024
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HANDEL & AFTERSALES<br />
Elektrifizierung:<br />
Investitionen lohnen sich<br />
Die Auswirkungen einer zunehmenden Elektrifizierung<br />
des Fahrzeugbestandes auf die<br />
freien Werkstätten, wie in diesem Fall auch<br />
auf die Markenhändler, sind vielfältig. Den<br />
grössten Effekt haben die im Vergleich zu verbrennungsmotorbetriebenen<br />
Fahrzeugen geringeren<br />
Wartungsumsätze. Diese setzen sich<br />
sowohl aus längeren Wartungsintervallen,<br />
kleineren Wartungsumfängen sowie einem<br />
geringeren Teilebedarf zusammen. Dazu fallen<br />
besonders ertragreiche Tätigkeiten wie<br />
beispielsweise der Ölwechsel weg. Diese wegfallenden<br />
Wartungsumsätze werden nicht<br />
durch neue Komponenten oder höhere Reifenabnutzung<br />
kompensiert. Die Studie rechnet<br />
mit einem rund 50 Prozent tieferen Wartungsumsatz.<br />
Hingegen verortet die Studie neue Geschäftsfelder<br />
im Umfeld des batterieelektrischen<br />
Fahrzeuges. Beispielhaft können die sogenannte<br />
State-of-Health-Bewertung der Traktionsbatterie<br />
oder die Installation von Ladelösungen<br />
angeführt werden. Zur Ausweitung<br />
des Leistungsangebots in Richtung Installationsservices<br />
bieten sich für kleinere Betriebe<br />
Kooperationen mit Elektroinstallateuren an.<br />
Der Investitionsbedarf <strong>–</strong> massgeblich ausgelöst<br />
durch spezielle Werkstattausrüstung, Quarantäneplatz<br />
für verunfallte Elektrofahrzeuge und<br />
Mitarbeiterqualifizierung <strong>–</strong> fordert die tendenziell<br />
kleineren, freien Betriebe in besonderem<br />
Masse. Die Studie hält jedoch fest, «dass der<br />
sich auf rund 10 000 Euro je Arbeitsplatz belaufende<br />
Investitionsbedarf in Schutzausrüstung,<br />
Spezialwerkzeug und Sicherheitsmaterial<br />
auch für kleinerer Betriebe als realisierbar<br />
einzustufen ist».<br />
Weniger Unfälle, dafür teurer<br />
Eine Chance sind die Fahrassistenzsysteme<br />
(ADAS), deren Verbauungsrate in den letzten<br />
Jahren kontinuierlich angestiegen ist <strong>–</strong> und<br />
die Tendenz ist weiter steigend. Im Jahr 2030<br />
werden rund 65 Prozent der Fahrzeuge des<br />
PW-Bestands über ADAS-Systeme der Stufen<br />
1 bis 3 verfügen. Der sich in dieser Folge ergebende<br />
jährliche Rückgang der Unfallhäufigkeiten<br />
lässt sich bei rund zwei Prozent einordnen<br />
<strong>–</strong> insbesondere dürfte die Nachfrage nach<br />
Bauteilen wie Karosserieelementen, Glas oder<br />
Schweinwerfer zurückgehen. Dieser Entwicklung<br />
stehen jedoch die Hochpreisigkeit der<br />
Fahrerassistenzsysteme gegenüber. Fahrzeuge<br />
aller Klassen verfügen mittlerweile über komplexe<br />
Systeme sowie kostenintensive Sensorik<br />
und Aktuatorik. Die durchschnittliche<br />
Schadensumme stieg von 2021 zu 2022 von<br />
1422 Euro auf 1899 Euro (+33 %!). Auch deswegen<br />
geht die Studie von einer Steigerung<br />
des Servicevolumens bis 2040 um 38 Prozent<br />
und des Stundenverrechnungssatzes um 101<br />
Prozent aus.<br />
Download der Studie<br />
Die Studie «Servicemarkt 2040: Perspektiven<br />
und Strategien für freie Werkstätten» ist auf<br />
Deutsch verfügbar.<br />
Hier geht es zum Download<br />
Allerdings gilt auch hier, dass die Werkstatt<br />
entsprechend ausgerüstet sein und über genügend<br />
Platz für die Kalibrierung verfügen muss.<br />
Die Unterschiede in den Anforderungen zwischen<br />
den einzelnen Marken können kleinere<br />
und freie Werkstätten vor finanzielle und<br />
personelle Herausforderungen stellen. Zwar<br />
schliesst die Entwicklung der Fahrzeuge hin<br />
zu hochkomplexen und geschlossenen Systemen<br />
die Reparatur durch Privatpersonen zunehmend<br />
aus. Allerdings erschwert die Notwendigkeit<br />
des Zugangs zu den relevanten<br />
Informationen und Daten, der für Diagnose,<br />
Wartung und Reparatur erforderlich ist, die<br />
Arbeit von freien Werkstätten. Der EU Data<br />
Act sollte in diesem Fall allerdings für Rechtssicherheit<br />
für freie Werkstätten sorgen.<br />
Dies gilt in grösserem Ausmass für die Fahrzeugkonnektivität<br />
und beispielsweise Software-Updates.<br />
Ein vernetztes Fahrzeug generiert<br />
heute pro Tag rund 600 GB Daten; Tesla<br />
liefert 400 bis 500 Updates pro Jahr. Insbesondere<br />
der freie Markt läuft an dieser Stelle<br />
Gefahr, durch einen nicht vollumfänglichen<br />
oder zeitlich versetzten Datenzugriff einen relevanten<br />
Wettbewerbsnachteil gegenüber den<br />
Automobilherstellern und deren Vertragspartnern<br />
zu erleiden.<br />
Weiterbildung tut gut<br />
Klar ist: Nur wer sich regelmässig weiterbildet,<br />
bleibt konkurrenzfähig. Und hier gilt für<br />
Deutschland wie für die Schweiz: «Die Ausbildungen<br />
in den Autoberufen sind attraktiv<br />
und gehören zu den beliebtesten.» Das sagt<br />
Lukas Block vom Fraunhofer-Institut. Für<br />
Franz Loogen ist das nur logisch: «So nah wie<br />
in einer Werkstatt ist man sonst kaum an der<br />
Entwicklung von neuen Technologien.» Deshalb<br />
fordert er die Garagisten auf: «Schicken<br />
Sie die Leute auf Fortbildung; das tut dem<br />
Betrieb und Ihnen gut!»<br />
Die Herausgeber und Autoren der Studie «Servicemarkt 2040» (v. l. n. r.): Lukas Block (Fraunhofer-Institut für<br />
Arbeitswirtschaft und Organisation), Benedikt Maier (Institut für Automobilwirtschaft IFA, Zukunftswerkstatt 4.0),<br />
Franz Loogen (E-Mobil BW), Michael Ziegler (Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe ZDK), Stefan Reindl<br />
(Institut für Automobilwirtschaft IFA). Foto: E-Mobile Baden-Württemberg<br />
Die Studie listet vier Strategieoptionen auf, um<br />
das freie Servicegeschäft abzusichern: organisches<br />
Wachstum, externes Wachstum, Wachstum<br />
anhand Spezialisierung und Marktaustritt.<br />
Die Autoren machen zu jedem der vier<br />
Felder konkrete Vorschläge, wie die Ziele umgesetzt<br />
werden können. Dank diesen Toolboxen<br />
können freie Werkstätten trotz begrenzter<br />
personeller und finanzieller Ressourcen einen<br />
individuellen und langfristig angelegten Strategieprozess<br />
anstossen. Denn, wie sagt Benedikt<br />
Maier, vom IFA: «Freie Werkstätten werden<br />
wichtiger.».<br />
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<strong>AUTOINSIDE</strong> | <strong>Februar</strong> <strong>2024</strong> 53