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UraUF - Die Staatstheater Stuttgart

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ald versaufen‹; außerdem wäre es ewig schade um den an<br />

dieser Stelle gelegenen Botanischen Garten. Man wusste<br />

eigentlich gar nicht recht, wo dieser lag, jedenfalls war er<br />

so klein und so wenig besucht, dass nie ein besetzter Stuhl<br />

zu finden war. Nachdem der Streit um die Platzfrage lange<br />

Zeit hin und her schwankte, wurde eine öffentliche Abstimmung<br />

angeordnet, bei der die größte Stimmenzahl für den<br />

alten Platz, die nächste Stimmenzahl für den Waisenhausplatz<br />

und nur einige hundert Stimmen für den heutigen<br />

Platz waren. Aber schließlich drang doch unser Baron mit<br />

seinem Plan durch […].«<br />

Der Durchbruch gelang, als neben dem Land, das den<br />

Verlust des Hoftheaters zu ersetzen verpflichtet war, und<br />

dem König – der das Unternehmen selbst nicht nur mit<br />

einem Teil seines Gartens, sondern auch finanziell stark<br />

unterstützte – auch die Stadt eine größere Summe zum<br />

Bauvorhaben und einen Betriebskostenzuschuss versprach –<br />

unter der Bedingung, dass zwei Häuser gebaut würden.<br />

Ausschlaggebend mag hierfür die Aussicht gewesen sein,<br />

auch nach funktionalen Gesichtspunkten einen neuen<br />

Maßstab zu setzen, mit einem Betrieb, der aufgrund der<br />

Verzahnung von Spiel- und Werkstätten besonders effizient –<br />

also sparsam – zu arbeiten in der Lage wäre.<br />

Aus den ersten Beschreibungen spricht die Euphorie<br />

über die technischen Möglichkeiten der neuen Theater.<br />

»Maschinell ist dieses Riesengebäude so eminent praktisch<br />

ausgestattet, dass fortan der Ausfall einer Opernvorstellung<br />

durch plötzliche Erkrankung oder dergleichen nahezu<br />

ausgeschlossen ist«, schrieb Paul Wittko 1912. »Auf die<br />

[…] unkomplizierteste Weise lässt sich der ganze dekorative<br />

Apparat jeder beliebigen Repertoire-Oper einschieben.« <strong>Die</strong><br />

Begeisterung des Eröffnungsjahres ist heute längst Ernüchterung<br />

gewichen. Schon vor Jahrzehnten klagte der Hochbauamts-Chef<br />

<strong>Die</strong>ter Hauffe, »das ist wie der Kölner Dom,<br />

dieses Haus«: eine unendliche Baustelle. Schon im Frühjahr<br />

1913 beginnt man nachträglich einen Rundhorizont,<br />

Fortuny-Beleuchtung und einen Wolkenzugapparat einzubauen<br />

– erste Maßnahmen im Rahmen einer fortlaufenden<br />

Modernisierung der Technik bis zum heutigen Tag.<br />

Mancher Mangel entsprang der Doppelnatur der Gebäude<br />

als »Königliche Hoftheater« mit einem großen bürgerlichen<br />

Publikum: Um die standesgemäße königliche<br />

Anfahrt mit separatem Zugang zu gewährleisten, opferte<br />

Littmann gar eine zweite Seitenbühne.<br />

Zuschauerraumtheater I<br />

Auch im Zuschauerraum des Großen Hauses ist die Janusköpfigkeit<br />

dieser Architektur bis heute zu besichtigen: in<br />

ihrer hybriden Mischung aus Rang-, Logen- und Amphitheater<br />

– wie sie auch das alte Kleine Haus prägte – liegt<br />

ein besonderer Reiz des <strong>Stuttgart</strong>er Großen Hauses. Mit<br />

dem Zuschauerraum seines Münchner Prinzregententheaters<br />

schloss Littmann unmittelbar an die fortschrittlichen<br />

Ideen Richard Wagners an, bei dessen Vision eines amphitheatralischen<br />

Zuschauerraums, in dem alle Besucher unterschiedslos<br />

gemeinsam auf das Musiktheatererlebnis<br />

ausgerichtet sind. Bei der Konzeption der <strong>Stuttgart</strong>er Theater<br />

hat Littmann die Problematik sorgfältig reflektiert: »Ein<br />

Amphitheater gehört überall dorthin, wo das große Drama<br />

– sei es das Wort- oder das Tondrama – ausschließlich<br />

Links Tempelähnlich: die klassizistische Hauptfassade des Kleinen Hauses.<br />

Rechts Im Inneren erzeugten grüne Stoffbezüge und Kirschbaumholz eine warme Atmosphäre<br />

zwischen Biedermeier-Schick und Kreuzfahrtluxus.<br />

gepflegt werden soll, […] und […] ist schließlich da am Platze,<br />

wo […] alle Rang- und Klassenunterschiede fallen, und<br />

das demokratische Prinzip durch die Einheit der Plätze<br />

versinnbildlicht werden soll.« (Volkart gestaltete den<br />

Zuschauerraum des neuen Kleinen Hauses 1962 entgegen<br />

seiner ursprünglichen Intention in amphitheatralischer<br />

Sitzordnung.) Unmittelbar an das antike Amphitheater<br />

scheint Littmanns Vorgehensweise in der Planung des<br />

Hauses anzuschließen: der Orchestergraben bildete den<br />

Ausgangspunkt, seine Größe, ausgelegt auf 106 Musiker,<br />

wurde in einer Sitzprobe unter Aufsicht des damaligen Generalmusikdirektors<br />

Max von Schillings und des Komponisten<br />

Richard Strauss als erste festgelegt. Wie die Orchestra<br />

die Arena bestimmte der <strong>Stuttgart</strong>er Orchestergraben den<br />

Zuschauerraum. Neben den pragmatischen Gründen – ein<br />

Rangtheater fasst auf kleinerer Fläche mehr Zuschauer als<br />

ein Amphitheater – dürften nicht zuletzt gesellschaftliche<br />

Aspekte zu Littmanns »Zwischenlösung« geführt haben.<br />

Denn das Rangtheater ermöglicht »eine Teilung der Besucher,<br />

wo sie von höfischer Etikette oder gesellschaftlichen<br />

Einrichtungen verlangt wird«, zumal, wenn es wenigstens<br />

teilweise mit Logen versehen ist. »Und darin dürfte die<br />

Hauptursache liegen«, so Littmann, »die dem Rangtheater<br />

seine Daseinsberechtigung gibt und solange geben wird,<br />

als nicht unsere ganzen sozialen Verhältnisse geradezu radikale<br />

Umwandlungen erfahren haben.« Wie nahe diese radikalen<br />

Umwälzungen zu diesem Zeitpunkt bereits waren,<br />

konnte er nicht ahnen. Im Relief des Königspaares über der<br />

zentralen Tür im Foyer des ersten Ranges und ihren Initialen<br />

W(ilhelm) und CH(arlotte) in den Gittern der Balkon-<br />

brüstungen hat sich die alte Ordnung bis heute sichtbar<br />

in das Gebäude eingeschrieben, umspielt von der hellenischen<br />

Heiterkeit dionysischer Szenen.<br />

Pause: Foyertheater<br />

Vor allem der erste Rang mit seinen zweimal sieben Logen<br />

im hinteren Bereich, der zentralen königlichen Galaloge<br />

und den zwei Proszeniumslogen an den Seiten atmet wahlweise<br />

noch den Geist des feudalen Zeitalters, oder erinnert,<br />

wie Max Bächer kritisiert, »mit seinen Vorhängchen eher<br />

an zweifelhafte Chambres séparées«. Als Sensation empfanden<br />

die Zuschauer damals, dass die <strong>Stuttgart</strong>er Häuser<br />

selbst im Dritten Rang, in der »Zwetschgendörre«, ausschließlich<br />

Sitzplätze anboten. <strong>Die</strong> Garderobenbereiche,<br />

die auf den heutigen Besucher in ihrer Zurückgenommenheit<br />

wirken wie eine Schleuse auf dem Weg in den Saal, in<br />

der nach wie vor Schließerinnen mit schwerem Vierkantschlüssel<br />

ihren Abenddienst versehen, erschien den Besuchern<br />

des Jahres 1912 monumental: »Garderobenstände<br />

von einer Ausdehnung […] wie sie ein zweites deutsches<br />

Theater bisher wohl nicht kannte«, begeisterte sich Paul<br />

Wittko.<br />

Zuschauerraumtheater II<br />

Dass man das Aussehen und die Atmosphäre von Littmanns<br />

Entwurf bis heute erleben kann, ist nicht etwa Folge<br />

sorgfältiger Konservierung, sondern das Ergebnis restauratorischer<br />

Rekonstruktion: 1983/84 wurde der Zuschauerraum<br />

des Großen Hauses wieder in seinen Ursprungszustand<br />

versetzt, nachdem Jahrzehnte der modernisierenden<br />

Längsschnitt durch den Zuschauerraum des Großen Hauses.<br />

Entwurfsvariante, die bereits große Verwandtschaft zur Ausführung zeigt.<br />

10 Spielzeit 12/13 11

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