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UraUF - Die Staatstheater Stuttgart

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Postkartenhaft freundlich lugt der Bahnhofsturm im<br />

Abendlicht durch die Fensterscheibe. Eine kleine Drehung<br />

nur nach links und golden reflektiert das Licht des württembergischen<br />

Hirschs auf dem spangrünen Kupferdach<br />

des Kunstgebäudes. Wieder eine kleine Drehung, und das<br />

Neue Schloss fällt allein in den Blick. Daneben schiebt gemächlich<br />

das Opernhaus seine bauchige Hülle ins Bild, die<br />

stolz und fast ein wenig übermütig die halbrunde Form des<br />

Zuschauerraums in den Oberen Schlossgarten verlängert.<br />

<strong>Die</strong> Lichter im Landtag sind längst verloschen. Kein Laut<br />

dringt von außen herein. Nur das Summen eines Staubsaugers<br />

durchbricht die Stille, der graue Teppich ist neu. Es<br />

riecht noch nach Sanierung.<br />

Aus dem oberen Foyer des Schauspielhauses öffnet sich<br />

der Blick fächerförmig in die <strong>Stuttgart</strong>er »Theateroase«, die<br />

– wie ein Autor anlässlich ihres siebzigjährigen Bestehens<br />

bemerkte – einen »Superlativ« darstellt: »Wo gibt es einen<br />

so einzigartigen Theaterplatz in ganz Europa?« Mitten in<br />

der von breiten Verkehrswegen durchschnittenen Autometropole<br />

gibt es einen »Binnenraum«, der allein als Übergang<br />

zu dienen scheint zwischen dem Innen und Außen der Stadt.<br />

Fast ein Jahrzehnt lang sind die <strong>Stuttgart</strong>er an dieser<br />

Stelle an einem Trümmerfeld vorüberspaziert, bevor die<br />

Staatliche Hochbauverwaltung einen Wettbewerb für den<br />

Wiederaufbau des Kleinen Hauses ausgeschrieben hat.<br />

Spreng- und Brandbomben hatten es im September 1944<br />

zerstört. Nach einem fünf Jahre währenden, von breiter<br />

öffentlicher Diskussion begleiteten Wettbewerb und einer<br />

Bauzeit von vier Jahren nahm die Stadt 1962 ein neues<br />

»Kleines Haus« in Empfang.<br />

Der Volkartbau<br />

Ebenerdig verlässt man heute das polygonale Haus von<br />

Hans Volkart, der mit seinem Entwurf Anschluss und Abstand<br />

zugleich suchte zum Historismus des klassizistischen<br />

Vorgängerbaus. Das Weiß der Marmorplatten aus den Bergen<br />

nördlich von Brescia leuchtet neben dem hellen Braun<br />

des Maulbronner Sandsteins der um fünfzig Jahre älteren<br />

Nachbargebäude, ohne sie zu übertönen. »Jede Bauaufgabe«,<br />

so der Architekt Max Bächer, »stellte zu dieser Zeit als<br />

die Städte noch durch Zerstörungen gekennzeichnet waren,<br />

eine Herausforderung dar, sich mit der Vergangenheit<br />

auseinanderzusetzen und sie an einer neuen Gegenwart<br />

Jubiläum<br />

Interims–<br />

theater<br />

Hundertjahrgeschichten zum <strong>Stuttgart</strong>er Littmannbau<br />

zu messen. Moderne und Reaktionäre standen in kämpferischer<br />

Haltung gegeneinander und brachten ihre Gesinnung<br />

in Bauten zum Ausdruck.« Nicht nur über den Wiederaufbau<br />

des Kleinen Hauses wurde zu dieser Zeit entschieden:<br />

Zur gleichen Zeit entstanden die Liederhalle und das Rathaus.<br />

Der Wettbewerb für das Landtagsgebäude lief, der<br />

zugleich klären sollte, was mit der Ruine des Neuen Schlosses<br />

geschieht, dessen Wiederaufbau umstritten war. Mit<br />

einer Stimme Mehrheit setzten sich die Befürworter des<br />

Wiederaufbaus in der Landtagsabstimmung durch. »<strong>Die</strong><br />

einzige planerische Bindung, die blieb, war die Örtlichkeit<br />

für das Zuschauerhaus, und dieses musste seine Prägung<br />

aus der unvergleichlich schönen landschaftlichen Situation<br />

heraus gewinnen«, umschreibt Volkart seinen Auftrag für<br />

das Kleine Haus. »Es durfte und sollte architektonisch ein<br />

Stück unserer Zeit sein.« Vor 100 Jahren sind an dieser Stelle<br />

noch Pferdedroschken vorbeigezockelt. In Württemberg<br />

regierte damals noch ein König.<br />

Der Eisenlohrbau<br />

Vor 100 Jahren stand neben dem Großen und dem Kleinen<br />

Haus ein drittes Theater, wenn auch nur für kurze Zeit: Ein<br />

Interimstheater, das der Königlichen Hofbühne von 1902<br />

bis 1912 eine Heimat bot. »Ich wünsche, dass alle bestehenden<br />

Verträge in vollem Umfang aufrecht erhalten werden!«,<br />

soll der König »im Widerschein der hochzüngelnden<br />

Flammen« gesagt haben, als ein Brand in der Nacht vom<br />

19. zum 20. Januar 1902 das alte Hoftheater »in Schutt und<br />

Asche« legte. Im Zeitraum von nur acht Monaten ließ König<br />

Wilhelm II., an der Stelle wo heute der Landtag steht, eine<br />

Übergangsspielstätte errichten. Ludwig Eisenlohr entwarf<br />

den mit Zügen des Jugendstil durchaus modisch gekennzeichneten<br />

Bau, der – nach vergeblichen Bemühungen,<br />

das Haus nach Ulm zu verkaufen – 1912 wieder abgerissen<br />

wurde. (<strong>Die</strong> Wunde, die der Theaterbrand in das Stadtzentrum<br />

gerissen hatte, war zu diesem Zeitpunkt bereits<br />

durch das neue Kunstgebäude von Theodor Fischer fast geschlossen<br />

worden.) Im Mittleren Schlossgarten ist noch ein<br />

letztes Überbleibsel des alten Hoftheaters zu besichtigen.<br />

Eine Portaltreppe, die einen der ersten Renaissancebauten<br />

nördlich der Alpen zierte: das fürstliche Lusthaus, für Jahrhunderte<br />

Spielplatz aristokratischer Schaulust und bürgerlicher<br />

Erbauung.<br />

Kleines Haus, Verwaltungsgebäude und Großes Haus: <strong>Die</strong> <strong>Stuttgart</strong>er Hoftheater-Anlage,<br />

aus der Vogelschau gesehen, Entwurf Max Littmann 1909/10.<br />

Bürgerliches Hoftheater<br />

Ihre Tradition als Theaterstadt verdankt <strong>Stuttgart</strong> ihren<br />

Fürsten. Zur Zeit des Herzogs Carl Eugen Mitte des 18. Jahrhunderts<br />

gelangte das Hoftheater zu seiner ersten Blüte.<br />

Anders als viele der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts<br />

aus bürgerlichem Gemeinsinn und Unterhaltungsbedürfnis<br />

entstandenen Theaterbauten gäbe es auch die <strong>Stuttgart</strong>er<br />

Neubauten wohl ohne den König in dieser Form nicht. <strong>Die</strong><br />

Hofbühne Wilhelms II. war eines der fortschrittlichsten<br />

Theater in Europa. Viele Werke, die andernorts der höfischen<br />

Zensur zum Opfer fielen – von Henrik Ibsen, Bjørnstjerne<br />

Bjørnson oder gar von Frank Wedekind – wurden in<br />

<strong>Stuttgart</strong> aufgeführt und mehr als einmal soll sich der<br />

preußische Kaiser Wilhelm II. über die laxe schwäbische<br />

Hofzensur geärgert haben. »Keinen geistigen Zwang duldete<br />

er an seiner Hofbühne, eingedenk der Tatsache, dass<br />

Schwaben es war, das den größten deutschen Vorkämpfer<br />

freien Geistesfluges, Schiller, geboren«, schrieb Hofrat<br />

Gerstmann über seinen König und das war nicht übertrieben.<br />

<strong>Die</strong> Wahl solcher Stoffe oblag dem Intendanten<br />

Joachim Gans Edler Herr zu Putlitz, einem badischen Offizier,<br />

der 1892 im Alter von nur 31 Jahren die Geschäfte des<br />

Königlichen Hoftheaters übernahm und diesen Beruf bis zur<br />

»Vertreibung« des Königs im November 1918 ausübte.<br />

Der Littmannbau<br />

Der Weg zum <strong>Stuttgart</strong>er Littmannbau führt nicht nur im<br />

symbolischen Sinn »über Putlitz«. Der Pfad von der Königstraße<br />

durch die Theaterpassage zu den <strong>Staatstheater</strong>n<br />

trägt seinen Namen. Putlitz war es, der den Münchner<br />

Architekten Max Littmann für <strong>Stuttgart</strong> entdeckte und<br />

mit ihm gemeinsam die Vision einer Doppeltheateranlage<br />

entwickelte. Ab 1902 befasste sich Littmann mit der<br />

Planung und ging schließlich 1908 auch erfolgreich aus<br />

dem Wettbewerb um den Neubau hervor. Das Münchner<br />

Prinzregententheater, eröffnet im Jahr 1901, war der erste<br />

Ausweis seiner »Theaterbegabung«, die sich in insgesamt<br />

elf Bauwerken manifestieren sollte. Darunter das Schillertheater<br />

in Berlin Charlottenburg (1905 – 06), das Großherzogliche<br />

Hoftheater in Weimar (1906 – 08), die Stadttheater<br />

in Hildesheim (1908 – 09), in Posen (1908 – 09) und in Bozen<br />

(1913 – 18). Sein Hauptwerk ist die <strong>Stuttgart</strong>er Theateranlage.<br />

<strong>Die</strong> Idee, einen Gebäudekomplex mit einem Großen<br />

und einem Kleinen Haus zu entwerfen entsprang einer Erfahrung,<br />

die Putlitz im Rahmen der Ausweichspielzeit des<br />

Jahres 1902 im Wilhelma-Theater gemacht hatte. »Trotz aller<br />

Mühe«, schreibt Putlitz, führte im alten Hoftheater »die<br />

Darstellung moderner und intimer Stücke nicht zu dem gewollten<br />

und gewünschten Erfolg. […] Ich musste erkennen,<br />

dass der kleine intime Rahmen des Kurtheaters das Geheimnis<br />

der Wirkung in sich trug«.<br />

Das Doppeltheater<br />

Mit seinem Plan, in <strong>Stuttgart</strong> ein Großes und ein Kleines<br />

Haus zu erbauen, erregte Putlitz, wie sich auch der<br />

Schauspieler Otto Miethke – Fach: Charakter-Komiker –<br />

erinnert, »bedenkliches Kopfschütteln«, nicht zuletzt aufgrund<br />

der Standortfrage für den 180 m breiten Gebäudekomplex:<br />

»Der heutige Platz wurde bemängelt: ›Der<br />

Nesenbach geht unten durch, und da würden die Theater<br />

8 Spielzeit 12/13 9

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