09.01.2013 Aufrufe

UraUF - Die Staatstheater Stuttgart

UraUF - Die Staatstheater Stuttgart

UraUF - Die Staatstheater Stuttgart

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Eingriffe und Nachbesserungen den Innenraum bis zur Unkenntlichkeit<br />

verändert hatten. Wie bei allen Veränderungen<br />

seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bildeten auch<br />

bei diesen Maßnahmen technische Probleme den Ausgangspunkt<br />

aller Überlegungen. Es wurde ein Wettbewerb<br />

ausgelobt, in dem vier Probleme intensiv diskutiert wurden:<br />

Bühnenbeleuchtung, Akustik, historischer Bestand und –<br />

»die Büffetfrage«.<br />

Pause: Büffettheater<br />

Als »mehr als ärgerlich« empfand man bereits seit langer<br />

Zeit die Versorgungslage mit Essen und Getränken für die<br />

knapp 900 Gäste des Parketts und des ersten Ranges. Während<br />

die Gäste des zweiten und dritten Ranges mit Büffets<br />

versorgt waren, hatte Littmann, wie er notiert »wenigstens<br />

aus dem Foyersaal des Großen Hauses« den »einer Kunst-<br />

Stätte recht unwürdige[n] Wirtschaftsbetrieb entfernt«. <strong>Die</strong><br />

übrigen Gäste sollten in den Pausen den Weg in den Keller<br />

des Verwaltungsgebäudes suchen, wo – wie Paul Wittko<br />

1912 schreibt – »nach Apolls und seiner Musen splendiden<br />

Spenden, der Ceres und des Bacchus Gaben« winken. (<strong>Die</strong><br />

Speisezimmer hinter den Logen der königlichen Familie<br />

freilich verfügten über eine Küche mit der damals unvorstellbar<br />

modernen Einrichtung eines elektrischen Herds.)<br />

Gottfried Böhm, der vor allem für seine Sakralbauten berühmte<br />

Architekt, löste »die Büffetfrage« durch die Gestaltung<br />

eines Pavillons zwischen Großem Haus und Verwaltungstrakt.<br />

Der helle, zweistöckige Kuppelbau ist um ein<br />

rundes Büffet herum gebaut.<br />

Zuschauerraumtheater III<br />

Gravierender als dieser Anbau veränderte der Rückbau des<br />

Zuschauerraums den Charakter des Gebäudes. <strong>Die</strong> Architekten<br />

Paul Stohrer und Hans Paul Schmohl hatten 1956<br />

den gesamten Zuschauer- und Foyerbereich im Stile des<br />

Funktionalismus umgestaltet. <strong>Die</strong> »Entrümpelung«, auf<br />

der Bühne von Regisseuren wie Günter Rennert oder Wieland<br />

Wagner vorgenommen, fand ihre Entsprechung in den<br />

»<strong>Die</strong> Zukunft kann sich nur erfolgreich gestalten,<br />

wenn sie aus der Vergangenheit die richtigen Lehren zu ziehen weiß.«<br />

Unter dieser Maxime schufen Intendant Putlitz und Max Littmann<br />

die <strong>Stuttgart</strong>er Doppeltheateranlage.<br />

Veränderungen des Intérieurs. Der Stuck verschwand hinter<br />

Verschalungen, das Altgold der Wände wich einem lichten<br />

Weiß, dunkles Holz verschwand hinter Bespannungen<br />

und die Sessel wurden bis in den dritten Rang hinein neu<br />

verpolstert. Zu wenig hatte man offenbar die akustischen<br />

Konsequenzen dieses Handelns bedacht, denn in seiner<br />

Ausgabe vom 6. November 1957 berichtete ›Der Spiegel‹<br />

gewohnt skandalträchtig von einer schweren Krise des<br />

<strong>Stuttgart</strong>er Hauses: »Früher haben wir spielend gesungen,<br />

jetzt müssen wir schaffen wie die Gäule«, klagte der Wagner-Held<br />

Wolfgang Windgassen dem Journalisten sein<br />

Leid und drohte seinem Intendanten mit Kündigung. Man<br />

baute um, provisorisch.<br />

Seine vielgerühmte Akustik hat das <strong>Stuttgart</strong>er Große<br />

Haus erst nach seinem Rückbau 1984 wieder erhalten.<br />

Schwer wogen die Bedenken in diesem Fall bei den Bühnenbildnern,<br />

die das schlichte schwarze Portal, das seit<br />

1956 in <strong>Stuttgart</strong> den Blick auf das Bühnengeschehen<br />

konzentrierte, dem silbrigen Glanz des schmucken Littmann-Portals<br />

vorzogen. Regisseuren wie Achim Freyer,<br />

der beispielsweise im <strong>Stuttgart</strong>er Freischütz den Versuch<br />

unternahm, den Rahmen zum Verschwinden zu bringen,<br />

musste die Wiedereinsetzung des kassettierten Portals wie<br />

ein Rückfall in das 19. Jahrhundert erscheinen. Auch die<br />

»kalt-prächtige« Farbgebung des Zuschauerraums war bis<br />

zuletzt Gegenstand der Diskussion – und war es schon zwischen<br />

Baron Putlitz und seinem Architekten gewesen, wie<br />

Alexandrine Rossi – Staatsschauspielerin, Fach: Helden-<br />

mutter – sich erinnert. <strong>Die</strong>se erblickte »in festlicher Toilette«<br />

einmal ihren Intendanten »sehr erregt mit dem Professor<br />

Littmann sprechen und dabei immer ganz deutlich auf<br />

mich hinweisen […]; kein Zweifel, man beschäftigte sich mit<br />

meiner Person. Das Herz schlug mir bis an den Hals. Endlich<br />

fand ich den Mut, […] den Intendanten zu fragen: ›Habe<br />

ich meine Toilette schlecht gewählt, weil Sie, Herr Baron, so<br />

erregt auf mich zeigen?‹ ›Ach verzeihen Sie, liebes Fräulein<br />

Rossi, im Gegenteil, ich bin entzückt von den Farben: das<br />

blaue Samtkleid mit den herrlichen tiefroten Rosen wirkt<br />

so festlich, dass ich Littmann überreden möchte, für den<br />

Zuschauerraum des Großen Hauses diese warmen Töne zu<br />

wählen. Aber er bleibt bei seiner künstlerischen Überzeugung.<br />

Sonnenleuchtendes Gelb mit Silber.‹«<br />

Groß und Klein<br />

Nachhaltigsten Einfluss auf die Architektur der <strong>Staatstheater</strong><br />

<strong>Stuttgart</strong> hatten aber wohl nicht bauliche, sondern<br />

organisatorische Veränderungen. <strong>Die</strong> gemeinsam mit Littmann<br />

verwirklichte Theatervision des Baron von Putlitz<br />

sah keineswegs eine Trennung der Sparten auf das Große<br />

(Opern-) und das Kleine (Schauspiel-)Haus vor: Im Kleinen<br />

Haus erklangen nicht nur erstmals moderne Dramen,<br />

es bot gleichermaßen den Opern von Wolfgang Amadeus<br />

Mozart den adäquaten Rahmen und erlebte die Erstaufführung<br />

der Urfassung der Ariadne von Richard Strauss.<br />

Umgekehrt war das Große Haus nicht nur Schauplatz großer<br />

Opern, sondern auch der »Staatsaktionen« von Goethe<br />

oder Schiller. »Ein Haus, das für die Tonmassen einer mit<br />

hundert und mehr Musikern besetzten Ring-Aufführung<br />

gebaut ist, kann unmöglich für Così fan tutte sich eignen,<br />

und ein Haus, in dem Scribes Das Glas Wasser zu künstlerischer<br />

Wirkung gelangt, würde erdrückend sein für die<br />

Shakespeare’schen Königsdramen«, schreibt Max Littmann<br />

mit Verweis auf die Nutzung des Cuvilliés- und des Nationaltheaters<br />

in München. Von dieser ursprünglichen Nutzung<br />

der beiden Theater für Schauspiel und Musiktheater erzählen<br />

immer noch die weißen Hermen im Prunkfoyer des<br />

Großen Hauses, wo neben Mozart, Beethoven und Wagner<br />

auch Shakespeare, Schiller und Goethe ihre goldene Nische<br />

»bewohnen«. Bereits in der Spielzeit 1919/20 wird die<br />

Trennung der Spielbetriebe zwischen Oper und Schauspiel<br />

weitgehend vollzogen und nur noch gelegentlich<br />

aufgebrochen. Inzwischen nutzt allein das <strong>Stuttgart</strong>er<br />

Ballett beide Häuser gleichermaßen: mit Uraufführungen<br />

und herausfordernden neuen Werken im intimeren Schauspielhaus,<br />

mit sinfonischen, vom Staatsorchester begleiteten<br />

Handlungsballetten im Opernhaus. Im Kammertheater<br />

1902<br />

Januar: Brand des Königlichen<br />

Hoftheaters, hervorgegangen aus dem<br />

1584 erbauten Neuen Lusthaus<br />

1902<br />

April bis Dezember: Bau des<br />

Interimstheaters, entworfen von<br />

Ludwig Eisenlohr<br />

1908 – 12<br />

Bau der Doppeltheateranlage,<br />

entworfen von Max Littmann<br />

1912<br />

Einweihung des Großen und Kleinen<br />

Hauses der Königlichen Hoftheater<br />

am 14. und 15. September<br />

1944<br />

Das Kleine Haus wird durch Bombenangriffe<br />

zerstört<br />

1956<br />

Umgestaltung der Inneneinrichtung<br />

des Großen Hauses durch Paul Stohrer<br />

und Hans Paul Schmohl<br />

1959 – 62<br />

Bau des neuen Kleinen Hauses,<br />

entworfen von Hans Volkart<br />

in der Staatsgalerie teilen sich Schauspiel, Ballett und<br />

(Junge) Oper seit 1983 eine kleine Nebenspielstätte, die<br />

eine noch größere Nähe zum Zuschauer zulässt.<br />

Interim<br />

Wie eine Krone umspielen die zehn Skulpturen vor dem<br />

klassizistischen Dreieck des Bühnenturms die Attika des<br />

Großen Hauses. Sie verkörpern Plastik, Architektur, Technik,<br />

Dramatik, Mimik, Gesang, Lyrik, Musik, Schauspielkunst<br />

und Malerei. Es sind mehr Figuren, als die Antike<br />

Musen kennt, und doch zu wenige um alle Fertigkeiten zu<br />

symbolisieren, die unter dem Dach der <strong>Staatstheater</strong> <strong>Stuttgart</strong><br />

versammelt sind. Schon seit der Bundesgartenschau<br />

des Jahres 1961 spiegeln sie sich nicht mehr im von Nymphen<br />

umrahmten Oval des Schwanenteichs, den Nikolaus<br />

von Thouret zu Beginn des 19. Jahrhunderts hier anlegte,<br />

sondern in den asymmetrischen Linien des Eckensees.<br />

<strong>Die</strong> Wandlungen und Umbauten, welche die <strong>Stuttgart</strong>er<br />

Doppeltheateranlage in den vergangenen 100 Jahren<br />

erfahren hat, scheinen zu unterstreichen, dass der Zustand<br />

des Interims nicht von der Errichtung eines Gebäudes abhängig<br />

ist. So schrieb der jüdische Dramatiker Julius Bab in<br />

einem Grußwort anlässlich der Eröffnung der <strong>Staatstheater</strong><br />

1912: »Ich habe die <strong>Stuttgart</strong>er Hofbühne nur im Interimhause<br />

kennen gelernt; aber dass ihr in jedem Heim dies<br />

köstlich lebenspendende Interim, dies mutige Dazwischensein<br />

zwischen gestern und morgen in lebendigster Gegenwart<br />

erhalten bleibe, das ist mein herzlichster Wunsch.«<br />

Der Sternenhimmel Julius Mössels an der Decke des<br />

Zuschauerraums des Großen Hauses ist vielleicht weniger<br />

eine melancholische Erinnerung an die antiken Festspiele<br />

unter freiem Himmel, als eine Mahnung, dass Theater,<br />

Tanz und Musik in unseren Graden nicht allein aufgrund<br />

der Witterungsverhältnisse ohne Dach nicht möglich wären.<br />

Sie benötigen für ihre flüchtige Erscheinung Häuser<br />

aus Stein. Mögen Jahrhunderte darüber hinweggehen. Das<br />

Ephemere bleibt.<br />

Patrick Hahn<br />

1983<br />

Einweihung des Kammertheaters in<br />

der Staatsgalerie<br />

1984<br />

Einweihung des nach Littmanns<br />

Originalplänen rekonstruierten<br />

Großen Hauses und des Pavillons<br />

von Gottfried Böhm<br />

2001<br />

Umbenennung der Gebäude in<br />

Opernhaus und Schauspielhaus<br />

2011<br />

Sanierung des Schauspielhauses,<br />

nicht abgeschlossen<br />

12 Spielzeit 12/13 13<br />

Chronik

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!