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2012 1. 2. 3. 5. 7. 9. 8. Wissenswerte Änderungen im neuen ... - Iurratio

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A. EINLEITUNG<br />

In Assessorexamensklausuren kommt es vor, dass ein Beklagter hilfsweise<br />

mit einer bestrittenen Forderung aufrechnet, die einer gesetzlichen<br />

Minderung unterliegt, zum Beispiel wegen zu berücksichtigender<br />

Betriebsgefahr bei einem Verkehrsunfall (§ 17 Abs. 2, Abs. 1<br />

StVG) oder wegen Mitverschuldens (§ 254 Abs. 1 BGB).<br />

Schwierig sind in solchen Fällen die Best<strong>im</strong>mung der Reichweite der<br />

Rechtskraft und die Kostenentscheidung. Das Schrift tum bietet hier<br />

wenig Hilfe. Begibt man sich in den einschlägigen Kommentaren auf<br />

die Suche, fi ndet man nicht mehr als eine pauschale Verweisung auf<br />

die Regeln, die für Teilklagen gelten. 1<br />

Dieser Beitrag soll die Lösung solcher Fälle aufzeigen und dabei auch<br />

für Studenten in den ersten Semestern verständlich sein. Deshalb<br />

wird zunächst das nötige Grundlagenwissen vermittelt.<br />

B. DIE BEDEUTUNG DER RECHTSKRAFT IM ZIVILPROZESS<br />

Der übliche Weg, auf dem Bürger in einem Rechtsstaat (Rechts-)<br />

Streitigkeiten lösen, ist der Zivilprozess. Zwischen den streitenden<br />

Parteien müssen der umstrittene Sachverhalt und die umstrittene<br />

Rechtslage inhaltlich geklärt und verbindlich festgestellt werden. Im<br />

Sinne der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens sollte dies nicht<br />

nur mit Wirkung für die Vergangenheit und die Gegenwart, sondern<br />

auch für die Zukunft geschehen. Dies wird <strong>im</strong> Regelwerk der<br />

Zivilprozessordnung (ZPO) durch die Rechtskraft der Urteile 2 gewährleistet.<br />

Das Gesetz unterscheidet die formelle und die materielle<br />

Rechtskraft .<br />

Formelle Rechtskraft (§ 705 ZPO) bedeutet, dass ein Urteil mit den<br />

gewöhnlichen Rechtsmitteln 3 nicht (mehr) angegriff en werden kann,<br />

beispielsweise weil die Frist zu deren Einlegung (§§ 517, 548 ZPO)<br />

verstrichen ist. Zur formellen Rechtskraft zwei Beispiele:<br />

1 Siehe Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, 2<strong>2.</strong> Aufl ., 2008, § 322 Rn. 162; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO,<br />

<strong>3.</strong> Aufl ., 2008, § 322 Rn 204.<br />

2 Zur Rechtskraft fähigkeit von Beschlüssen Musielak, in: Musielak, ZPO, <strong>8.</strong> Aufl ., 2011, § 329 Rn. 1<strong>7.</strong><br />

3 Berufung, Revision (§§ 511, 542 ZPO), nicht dagegen Wiederaufnahme (§ 578 ZPO), Gehörsrüge (§<br />

321a ZPO) oder Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 BVerfGG), vergleiche<br />

Stöber, in: Zöller, ZPO, 2<strong>8.</strong> Aufl ., 2010, § 705 Rn. <strong>1.</strong><br />

Fall 1a:<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / <strong>2012</strong><br />

Ausbildung<br />

Rechtskraft und Kosten bei Aufrechnung <strong>im</strong> Zivilprozess<br />

Unter besonderer Berücksichtigung der Hilfsaufrechnung mit einer<br />

bestrittenen Forderung, die einer gesetzlichen Minderung unterliegt<br />

von Merle Erpenbeck, B.Sc., und Dr. S<strong>im</strong>on Kempny, LL.M., (beide Münster)<br />

Merle Erpenbeck studiert <strong>im</strong> Masterstudiengang Mathematik mit den Schwerpunkten Logik und angewandte Mathematik an<br />

der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Aus Interesse an der Versicherungsmathematik hörte sie auch eine Vorlesung<br />

zum Versicherungsaufsichtsrecht an der juristischen Fakultät und kam so näher mit der Rechtswissenschaft in Berührung.<br />

S<strong>im</strong>on Kempny hat an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und als Postgraduate an der University of the West of<br />

England Bristol Rechtswissenschaften studiert. Er wurde 2011 in Münster mit einer Arbeit über die Staatsfi nanzierung nach<br />

der Paulskirchenverfassung promoviert und ist derzeit Rechtsreferendar be<strong>im</strong> dortigen Landgericht.<br />

K verklagt B auf Zahlung von 10.000 €, die ihm angeblich aus einem<br />

Kaufvertrag zustehen. Das zuständige 4 Landgericht weist die Klage<br />

als unbegründet ab, weil der Vertrag wirksam angefochten worden<br />

sei und der Anspruch somit nicht bestehe. Fünf Jahre vergehen.<br />

Gegen das Urteil wäre zwar das Rechtsmittel der Berufung statthaft ,<br />

aber die Berufungsfrist nach § 517 ZPO ist verstrichen, die Berufung<br />

unzulässig – das Urteil ist also rechtskräft ig.<br />

Fall 1b:<br />

K ist <strong>im</strong> ersten Rechtszug mit einer Klage gegen B unterlegen. Seine<br />

Berufung ist ohne Erfolg, das Berufungsgericht lässt aber die Revision<br />

zu (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO). K legt ordnungsgemäß Revision<br />

ein; der Bundesgerichtshof 5 weist sie jedoch als unbegründet<br />

zurück. Es gibt kein statthaft es gewöhnliches Rechtsmittel mehr, somit<br />

ist das Urteil rechtskräft ig.<br />

Materielle Rechtskraft 6 bedeutet, dass der Urteilsspruch die Parteien<br />

und die Gerichte inhaltlich bindet. Der Streitgegenstand, das heißt<br />

(nach h. M.) der der Klage zugrunde gelegte Lebenssachverhalt und<br />

der vom Kläger gestellte Antrag, kann von keiner Partei mehr zum<br />

Gegenstand eines (anderen) Rechtsstreits gemacht werden. 7 Die materielle<br />

Rechtskraft setzt die formelle voraus. 8<br />

Zwei Beispiele zur Wirkung der materiellen Rechtskraft :<br />

Fall 2a:<br />

K ist mit einer Klage gegen B unterlegen. Er verlor den Prozess nur,<br />

weil er einen Vertragsschluss (der tatsächlich vorlag) nicht beweisen<br />

konnte. Ein Jahr später fi ndet er eine Urkunde, mit der ihm dies<br />

möglich wäre. Er klagt erneut. Die Klage ist (als unzulässig) abzuweisen,<br />

da über diesen Streitgegenstand bereits rechtskräft ig entschieden<br />

wurde.<br />

4 §§ 23, 71 Abs. 1 GVG, 3 ZPO.<br />

5 Zuständig gemäß § 133 GVG.<br />

6 In der ZPO nur „punktuell“ (Pohlmann, Zivilprozessrecht, 2009, S. 278) geregelt, in §§ 322–327<br />

ZPO. Die Bindungswirkung nach § 318 ZPO ist davon zu unterscheiden; inhaltlich entspricht sie freilich<br />

der materiellen Rechtskraft (Musielak, in: Musielak, ZPO, <strong>8.</strong> Aufl ., 2011, § 318 Rn. 2, § 322 Rn. 7).<br />

7 So die heute herrschende „prozessrechtliche Th eorie“ in Gestalt der „Ne-bis-in-idem-Lehre“, wonach<br />

die materielle Rechtskraft als negative Prozessvoraussetzung angesehen wird (zu den verschiedenen<br />

Th eorien überblicksartig Saenger, in: Hk-ZPO, 4. Aufl ., 2011, § 322 Rn. 8 ff .).<br />

8 Saenger, in: Hk-ZPO, 4. Aufl ., 2011, § 322 Rn. <strong>1.</strong><br />

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