2012 1. 2. 3. 5. 7. 9. 8. Wissenswerte Änderungen im neuen ... - Iurratio
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I. EINLEITUNG:<br />
Das Rechtsgebiet des Wirtschaft sstrafrechts hat in der Praxis in den<br />
letzten Jahren einen Aufstieg sondergleichen erlebt. In Zeiten der<br />
Globalisierung wird das Wirtschaft sleben <strong>im</strong>merzu komplexer. Dies<br />
erhöht die Anzahl der Fehler der in der Wirtschaft tätigen Akteure<br />
erheblich. Zudem sind globale Finanzströme und der ungeahnte<br />
Austausch von Waren und Gütern mit dafür verantwortlich, dass die<br />
Anreizwirkung für Korruption, Untreue, Insiderhandel und andere<br />
wirtschaft sstrafrechtliche Delikte erheblich gestiegen ist. Schlagwörter<br />
wie das Siemens-Verfahren, Mannesmann, Volkswagen, MAN-<br />
Verfahren oder der Fall Zumwinkel haben die Öff entlichkeit aufh orchen<br />
lassen. Infolge dieser und anderer Verfahren ist ein gesteigertes<br />
Interesse an der Bekämpfung von Wirtschaft skr<strong>im</strong>inalität zu beobachten.<br />
Der Gesetzgeber, die Richterschaft und die Staatsanwaltschaft<br />
en haben reagiert. Immer schärfere Gesetze 1 , die Errichtung<br />
von Schwerpunktstaatsanwaltschaft en und auch die steigende Anzahl<br />
der Strafverteidiger auf diesem Gebiet lassen den ungehemmten<br />
Trend des Wirtschaft sstrafrechts erkennen.<br />
Dieser Beitrag will <strong>im</strong> Folgenden die Grundzüge des Wirtschaft sstrafrechts<br />
darlegen. Dabei haben sich die Verfasser auf den sog.<br />
„Allgemeinen Teil des Wirtschaft sstrafrechts“ beschränkt. Sein Verständnis<br />
ist grundlegende Voraussetzung, um die in den verschiedensten<br />
Gesetzen aufzufi ndenden Wirtschaft sdelikte zu verstehen. 2<br />
II. BEGRIFFSERKLÄRUNG –<br />
WAS IST WIRTSCHAFTSSTRAFRECHT?<br />
Der bloße Begriff Wirtschaft sstrafrecht erscheint zunächst recht<br />
ufer- oder zumindest konturenlos. Dieser Umstand wird durch das<br />
Fehlen einer gesetzlichen Defi nition noch zusätzlich befl ügelt. Um<br />
den Terminus mit Inhalt zu füllen und von anderen Gebieten des<br />
Strafrechts abzugrenzen, werden in der Literatur insgesamt drei wesentliche<br />
Standpunkte vertreten.<br />
<strong>1.</strong> EINE PROZESSUAL-KRIMINALISTISCHE SICHTWEISE<br />
Wirtschaftsstrafrecht in Deutschland-<br />
eine Einführung<br />
von Marc Selker (Oldenburg) und Christian Döpke (Hannover)<br />
Vorwiegend in der Vergangenheit wurde argumentiert, dass die das<br />
Wirtschaft sstrafrecht bildenden Wirtschaft sdelikte reine Vermögensdelikte<br />
mit prozessualen Beweisschwierigkeiten seien und daher<br />
der Vermögensschutz <strong>im</strong> Vordergrund stehe. Das wesentliche Ziel<br />
des Wirtschaft sstrafrechts sei also eine Verbesserung der Strafj ustiz<br />
durch eff ektive personelle, sächliche oder organisatorische Maßnahmen.<br />
3 Zur Erreichung des Ziels genüge es grundsätzlich auf den<br />
Betrugstatbestand aus § 263 StGB als zentrale Norm des Wirtschaft sstrafrechts<br />
zurückzugreifen. 4<br />
Diese Ansicht muss heute als veraltet und zu eng abgelehnt werden. 5<br />
Der Vermögensschutz ist zwar unbestreitbarer Bestandteil, aber lediglich<br />
ein Teilaspekt des Gesamtkomplexes Wirtschaft sstrafrecht,<br />
1 Vgl. z. B. die Verschärfung des § 371 AO n. F..<br />
2 Vgl. ohne Anspruch auf Vollständigkeit: § 82 GmbHG; § 399 AktG; §§331ff . HGB; § 38<br />
WpHG; § 49 BörsG; §§16f. UWG, §§370 AO; §§81 f. GWB; § 15a InsO.<br />
3 Vgl. Tiedemann, Wirtschaft sstrafrecht, <strong>3.</strong> Aufl age, § 1 Rn. 40.<br />
4 Ders., a.a.O.<br />
5 Vertreten aber noch von Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht Besonderer Teil, Teilband 1, 10.<br />
Aufl age, § 48 Rn. <strong>8.</strong><br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / <strong>2012</strong><br />
Ausbildung<br />
was schon der umfassende Charakter des § 74c Abs. 1 GVG deutlich<br />
aufzeigt. Diese Norm führt verschiedenste Straft atbestände auf, die<br />
zwar teilweise, wie etwa § 74c Abs. 1 Nr. 4 GVG mit Verweis auf das<br />
Lebensmittelrecht, keinerlei Vermögensbezug besitzen, aber dennoch<br />
die Zuständigkeit der Wirtschaft sstrafk ammern der Landgerichte<br />
begründen.<br />
Das Wirtschaft sstrafrecht allein anhand von Vermögensdelikten zu<br />
defi nieren, ist also zu kurz gegriff en.<br />
<strong>2.</strong> EINE KRIMINOLOGISCHE SICHTWEISE<br />
In der Literatur fi nden sich sodann verschiedene kr<strong>im</strong>inologische<br />
Defi nitionsansätze.<br />
Diese knüpfen weniger an positiv geltendes Recht, als vielmehr an<br />
soziale Tatsachen an.<br />
Einerseits wird sich einer Begriff sdefi nition über einen best<strong>im</strong>mten<br />
Tätertypus angenähert. Der klassische Wirtschaft sstraft äter sei<br />
männlich, genieße ein hohes soziales Ansehen, sei gut integriert, gebildet<br />
und berufl ich erfolgreich. 6 Demgemäß wird das Wirtschaft sstrafrecht,<br />
in Anlehnung an den von Edwin Sutherland geprägten<br />
Begriff des White-Collar-Cr<strong>im</strong>e als Deliktspool der White-Collar-<br />
Worker defi niert. 7<br />
Andererseits wird eine mehr unternehmensbezogene Defi nition vertreten.<br />
Diese zeichnet sich durch die besondere Motivlage des Täters<br />
bei Begehung der Straft at aus. Er handele danach entweder in<br />
Ausübung seiner berufl ichen Tätigkeit zu seinem eigenen Nutzen,<br />
sog. Occupational Cr<strong>im</strong>e 8 oder zum Nutzen des Unternehmens, sog.<br />
Corporate Cr<strong>im</strong>e. 9<br />
Schließlich wird mit Hilfe von § 30 Abs. 4 Nr. 5 lit. b AO argumentiert,<br />
wirtschaft sstrafrechtliche Delikte würden das institutionalisierte<br />
Vertrauen aller Marktteilnehmer schützen. Deren Vertrauen in<br />
einen juristisch und ethisch einwandfreien Wirtschaft sverkehr sei<br />
Grundvoraussetzung für das Funktionieren desselben. Ansatzpunkt<br />
für eine Defi nition von Wirtschaft sstrafrecht sei also die schädliche<br />
Auswirkung von Wirtschaft sdelikten. 10<br />
Die verschiedenen kr<strong>im</strong>inologischen Ansätze können aber ebenfalls<br />
nicht überzeugen.<br />
Gegen eine Begriff sdefi nition anhand eines Tätertypus spricht, dass<br />
die Wirtschaft sdelikte zwar teilweise, aber keinesfalls ausschließlich<br />
Sonderdelikte der White-Collar-Class sind, sondern auch von Angehörigen<br />
der Blue-Collar-Class, also Arbeitern, wie auch von einfachen<br />
Angestellten oder Scheinselbständigen begangen werden können.<br />
11 Auch ein solcher Ansatz greift zu kurz.<br />
Gegen eine Begriff sdefi nition anhand des Unternehmensbezugs<br />
spricht, dass Wirtschaft sstraft aten ohne weiteres auch außerhalb ei-<br />
6 Vgl. Schwind, Kr<strong>im</strong>inologie, 20. Aufl age, § 21 Rn. 2<strong>1.</strong><br />
7 Vgl. Wittig, Wirtschaft sstrafrecht, § 2 Rn. <strong>8.</strong><br />
8 Vgl. Samson/Langrock, DB 2007, 1684.<br />
9 Vgl. Schünemann, wistra 1982, 4<strong>1.</strong><br />
10 Vgl. Kaiser, Kr<strong>im</strong>inologie, § 72 Rn. 6.<br />
11 Vgl. Wittig, Wirtschaft sstrafrecht, § 2 Rn 10.<br />
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