2012 1. 2. 3. 5. 7. 9. 8. Wissenswerte Änderungen im neuen ... - Iurratio
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zu einer konkreten Lebensgefahr führt. Zudem ist die schwere Folge<br />
des § 226 I Nr. 2 StGB erfüllt, da der Verlust der Hände das Verlieren<br />
wichtiger Glieder des Körpers darstellt. 56 Auch ist der D durch<br />
das Abhacken der Hände in erheblicher Weise dauernd entstellt i.S.v.<br />
§ 226 I Nr. 3 StGB, weil eine ins Gewicht fallende, die Proportionen<br />
verzerrende Verunstaltung vorliegt.<br />
B handelte auch vorsätzlich hinsichtlich der Tatumstände des § 223<br />
I StGB und des § 224 I Nr. 2 StGB. Ebenfalls hatte B Vorsatz hinsichtlich<br />
der Variante des § 224 I Nr. 5 StGB, da hierfür ausreicht,<br />
dass der Täter Kenntnis von den konkreten Umständen aus denen<br />
sich die Lebensgefährdung ergibt, hat, ohne dass er sein Verhalten<br />
für lebensgefährlich halten muss. 57 Der Umstand, dass B tatsächlich<br />
keinen Täuschungsvorsatz hatte, schließt daher den Vorsatz hinsichtlich<br />
der Qualifi kation des § 224 I Nr. 5 StGB nicht aus.<br />
Auch verursachte B die schweren Folgen nach § 226 I Nr. 2, 3 StGB<br />
absichtlich gem. § 226 II StGB, da es ihm gerade darum ging, durch<br />
die Verletzung eine Forderung des A zu erfüllen.<br />
<strong>2.</strong> RECHTSWIDRIGKEIT<br />
B könnte jedoch durch rechtfertigenden Notstand gem. § 34 StGB<br />
gerechtfertigt sein.<br />
a) Eine gegenwärtige Lebensgefahr liegt vor, denn es bestand die<br />
Wahrscheinlichkeit, dass S sterben würde, wenn B nicht die Forderung<br />
des A erfüllen würde.<br />
b) Auch müsste eine Notstandshandlung vorliegen. Das Abhacken<br />
der Hände war geeignet und das mildeste Mittel zur Gefahrabwendung,<br />
denn da polizeiliche Hilfe nicht zu erlangen war, musste B dem<br />
Willen des A nachkommen, um die Rettung des S ermöglichen, um<br />
S zu retten.<br />
c) Die Notstandshandlung müsste aber auch verhältnismäßig sein.<br />
Nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände muss das beeinträchtigte<br />
Interesse wesentlich überwiegen, d.h. nach objektiven Maßstäben<br />
muss sich ein deutliches Übergewicht des vom Täter verfolgten<br />
Interesses ergeben. 58 Dabei muss tatsächlich in quantitativer Hinsicht<br />
ein wesentliches Übergewicht vorliegen, 59 es ist nicht ausreichend,<br />
dass ein Überwiegen eindeutig feststeht. 60<br />
Gem. § 34 S. 1 StGB sind namentlich die betroff enen Rechtsgüter<br />
und der Grad der ihnen drohenden Gefahren bei der Abwägung zu<br />
berücksichtigen. In der Regel wird der Schutz des Lebens eine Verletzung<br />
der körperlichen Unversehrtheit überwiegen, 61 jedoch ist der<br />
Rang der betroff enen Güter nicht alleiniger Gesichtspunkt der Interessenabwägung.<br />
Wenn sich die Notstandshandlung gegen jemanden<br />
richtet, der für die Gefahr nicht verantwortlich ist, liegt ein überwiegendes<br />
Interesse nur vor, wenn das gerettete Gut unverhältnismäßig<br />
mehr Schutz verdient. 62 Daraus folgt, dass bei der Verletzung der<br />
Gesundheit eines Dritten trotz der Rettung eines Menschenlebens<br />
kein wesentliches Überwiegen vorliegt. 63 Ein Vorrang des Lebens des<br />
S lässt sich auch nicht erzeugend mit der Erwägung begründen, das<br />
56 BGHSt 19, 352; NStZ 2004, 618; a.A. Lackner/Kühl (Fn. 32), § 224 Rn. <strong>9.</strong><br />
57 Fischer (Fn. 7), § 34 Rn. 1<strong>2.</strong><br />
58 Hoyer, in: Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag, 2007, S. 173 ff .; Neumann, in: Nomos<br />
Kommentar zum StGB, <strong>3.</strong> Aufl . 2010, § 34 Rn. 67; Kühl (Fn. 35), § 8 Rn. 9<strong>8.</strong><br />
59 So aber Küper, GA 1983, 289 ff .<br />
60 Joecks (Fn. 36), § 34 Rn. 24.<br />
61 Perron (Fn. 11), § 34 Rn. 3<strong>8.</strong><br />
62 Zieschang, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 1<strong>2.</strong> Aufl . 2006, § 34 Rn. 5<strong>3.</strong><br />
63 BVerfGE 39, 1 (42).<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / <strong>2012</strong><br />
Fallbearbeitung<br />
Leben stelle nach dem BVerfG einen „Höchstwert 64 dar. Diese Formulierung<br />
bedeutet <strong>im</strong> Rahmen des § 34 StGB lediglich, dass niemand<br />
<strong>im</strong> Grundgesetz zur Aufopferung seines Lebens gezwungen<br />
werden kann, nicht jedoch, dass das Leben stets bei der Interessabwägung<br />
am Schwersten wiegt. 65 Das Abhacken der Hände stellt eine<br />
schwere Körperverletzung und einen ganz erheblichen Eingriff in die<br />
körperliche Unversehrtheit des an der Gefahrschaff ung für S unbeteiligten<br />
D dar. Die Tatsache, dass es ohne die Untreuetaten des D<br />
nicht zur Entführung des S gekommen wäre, reicht nicht aus, um D<br />
als Verursacher der Lebensgefahr anzusehen, denn zum einen genügt<br />
nicht jeder Kausalbeitrag und zum anderen ist die Gefahr für S auf<br />
das eigenverantwortliche kr<strong>im</strong>inelle Handeln des A zurückzuführen.<br />
Daher liegt kein wesentliches Überwiegen 66 gem. § 34 S. 1 StGB vor.<br />
Somit ist die Tat nicht durch Notstand gerechtfertigt.<br />
<strong>3.</strong> SCHULD<br />
B könnte nach § 35 StGB entschuldigt sein. Es lag eine gegenwärtige<br />
Gefahr für das Leben eines Angehörigen vor. Diese war auch<br />
nicht anders abwendbar, da hoheitliche Hilfe nicht zum Erfolg führen<br />
konnte. B handelte auch mit dem Ziel, die Gefahr abzuwenden.<br />
Ein Ausschluss des Entschuldigungsgrundes nach § 35 I 2 StGB liegt<br />
nicht vor. Der Umstand, dass B an der Untreue zu Lasten des A beteiligt<br />
war, genügt nicht, da nicht jeder Kausalbeitrag ausreicht, sondern<br />
die Gefahrschaff ung vorhersehbar sein muss. 67 Somit ist B hinsichtlich<br />
der schweren Körperverletzung gem. § 35 I StGB entschuldigt.<br />
4. ERGEBNIS<br />
B hat sich durch das Abhacken der Hände nicht wegen schwerer Körperverletzung<br />
gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 und 5, 226 I Nr. 2, 3 StGB<br />
strafb ar gemacht.<br />
II. § 303 I STGB<br />
B könnte sich durch das Zerstechen der Reifen wegen Sachbeschädigung<br />
gem. § 303 I StGB strafb ar gemacht haben.<br />
<strong>1.</strong> TATBESTAND<br />
Der Tatbestand der Sachbeschädigung ist erfüllt, da B die Reifen vorsätzlich<br />
zerstochen und damit zerstört hat.<br />
<strong>2.</strong> RECHTSWIDRIGKEIT<br />
In Betracht kommt eine Rechtfertigung durch Notstand gem. § 904<br />
BGB, der bei der Beschädigung von Sachwerten vorrangig zu § 34<br />
StGB zu prüfen ist. 68 Die Interessenabwägung fällt hier eindeutig zu<br />
Gunsten des Lebens des S aus, denn das Leben überwiegt Sachwerte<br />
wesentlich auch wenn diese Sachwerte einem Unbeteiligten gehören.<br />
64 Neumann (Fn. 60), § 34 Rn. 3; Erb, in: Münchener Kommentar zum StGB, I, <strong>1.</strong> Aufl . 2011, § 34 Rn.<br />
116; Otto, Jura 2005, 474; zu Ausnahmen siehe jüngst ausführlich Z<strong>im</strong>mermann, Rettungstötungen,<br />
200<strong>9.</strong><br />
65 Zum Streit über die Bedeutung des Merkmals „wesentliches Überwiegen“ siehe Zieschang (Fn. 64),<br />
§ 34 Rn. 76; Perron (Fn. 11), § 34 Rn. 45: lediglich „Klarstellungsfunktion“.<br />
66 Vgl. Hörnle, JuS 2009, 873, 87<strong>9.</strong><br />
67 So die h.M. Wessels/Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, 4<strong>1.</strong> Aufl . 2011, Rn. 287; Fahl, JuS 2005,<br />
808, 809; a.A. Hellmann, Die Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Rechtfertigungsgründe <strong>im</strong> Strafrecht,<br />
1987, S. 106 ff .<br />
68 Bearbeiterhinweis: In der Fallbearbeitung ist nicht erforderlich, die eigenständige Einordnung der<br />
Angemessenheitsklausel zu begründen. Diese ergibt sich bereits aus dem Aufb au, vgl. Rengier, Strafrecht<br />
AT, <strong>2.</strong> Aufl . 2010, § 19 Rn. 4<strong>9.</strong><br />
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