52 Fallbearbeitung Nach § 34 S. 2 StGB muss die Tat ein angemessenes Mittel sein, um die Gefahr abzuwenden. 69 Die Angemessenheitsklausel ist auch bei § 904 BGB zu berücksichtigen, denn § 904 BGB ist ein Unterfall des strafrechtlichen Notstands. 70 Vorliegend ist fraglich, ob die von A geschaff ene Zwangslage zur Rechtfertigung führen kann, denn dadurch würde dem unbeteiligten Dritten eine Duldungspfl icht auferlegt und damit das Notwehrrecht gegenüber B genommen. Zur Lösung dieses unter dem Stichwort „Nötigungsnotstand“ diskutierten Problems werden <strong>im</strong> Wesentlichen drei Meinungen vertreten. 71 a) Die sog. Rechtfertigungslösung lehnt eine Einschränkung des Notstandsrechts ab. Auch ein genötigter Notstandstäter verdiene die Solidarität der Rechtsgemeinschaft und damit die Opferbereitschaft unbeteiligter Dritter. 72 Demnach würde die Tatsache, dass B von A genötigt worden ist, nicht zur Unangemessenheit führen. b) Die wohl überwiegend vertretene sog. Entschuldigungslösung verwehrt dem Notstandstäter die Rechtfertigung und verweist ihn auf die Möglichkeit der Entschuldigung nach § 35 StGB. Zum einen trete der Genötigte bewusst auf die Seite des Unrechts und zum anderen dürfe das Notwehrrecht des Opfers nicht aufgehoben werden. 73 Somit wäre die Notstandshandlung unangemessen. c) Andere diff erenzieren nach der Wertigkeit des betroff enen Rechtsgutes des Unbeteiligten und der Intensität des Angriff s. 74 Es sei nicht überzeugend, eine Rechtfertigung selbst dann zu verneinen, wenn der Genötigte z.B. eine Sachbeschädigung begehe, um dadurch eine Lebensgefahr abzuwenden. Andererseits dürfe auch nicht pauschal eine Rechtfertigung bejaht werden, denn diese belaste den Unbeteiligten ggf. über Gebühr. 75 Demnach wäre angesichts der Gefahr für das Leben des S die Angemessenheit nicht aufgrund der Nötigung ausgeschlossen. d) Hier spricht angesichts der widerstreitenden Rechtsgüter, nämlich der Unversehrtheit des Eigentums an den Autoreifen einerseits und dem Leben des S andererseits, viel für eine Rechtfertigung auf Basis der diff erenzierenden Lösung. Der kategorische Ausschluss einer Rechtfertigung des Genötigten mit dem Argument, dieser stelle sich auf die Seite des Unrechts, überzeugt nicht, denn, sollte der Genötigte gerechtfertigt sein – was ja gerade zunächst zu klären ist –, 76 könnte man ihm kaum vorwerfen, dass der Hintermann deliktische Ziele verfolgt. Eine unterschiedliche Bewertung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Handelns des Genötigten und des Nötigenden wird nicht durch das Schlagwort Еinheit der Rechtsordnung ausgeschlossen. Denn auch bei der mittelbaren Täterschaft ist anerkannt, dass es rechtmäßig handelnde Werkzeuge geben kann. 77 Dies schließt es nicht aus, in Fällen, in denen es nicht um Sachbeschädigung und Menschenleben geht, den Gesichtspunkt des Nötigungsnotstandes bei der Interessenabwägung zu Lasten des Erhaltungsguts zu berücksichtigen. Zu beachten ist weiterhin, dass dem Angegriff enen das 69 Neumann (Fn. 66), § 34 Rn. 124; Erb (Fn. 66), § 34 Rn. 15; Bünemann/Hömpler, Jura 2010, 184, 185; <strong>im</strong> Ergebnis auch die Falllösung von Kühl, JuS 2007, 742, 747; a.A. Joecks (Fn. 36), § 34 Rn. 3<strong>9.</strong> 70 Zum Ganzen siehe Bünemann/Hömpler, Jura 2010, 184 ff . 71 Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 4. Aufl . 2009, § 17 Rn. 18 ff .; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl . 2011, § 9 Rn. 105; Küper, Jura 1983, 206, 21<strong>5.</strong> 72 Perron (Fn. 11), § 34 Rn. 41b; Wessel/Beulke (Fn. 69), Rn. 443; Arzt, JZ 2001, 1054 ff .; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, 1965, S. 11<strong>7.</strong> 73 Zieschang (Fn. 64), § 34 Rn. 69a; Neumann, JA 1988, 329, 335; Zieschang, JA 2007, 679, 683; Britz/ Müller-Dietz, JuS 1998, 237, 24<strong>2.</strong> 74 Rengier (Fn. 70), § 19 Rn. 54. 75 Vgl. Kühl (Fn. 35), § 8 Rn. 12<strong>9.</strong> 76 Vgl. Joecks (Fn. 36), § 25 Rn. 2<strong>3.</strong> 77 RGSt 64, 30; Fischer (Fn. 7), § 25 Rn. 5a; Murmann (Fn. 42), § 27 Rn. 36; Kühl, JuS 2007, 742, 74<strong>8.</strong> <strong>Iurratio</strong> Ausgabe 1 / <strong>2012</strong> Notwehrrecht nicht gänzlich genommen wird, sondern dieses gegenüber dem Nötigenden weiter gilt. Die Tatsache, dass B von A zur Sachbeschädigung genötigt worden ist, schließt daher das wesentliche Überwiegen des Schutzes des Lebens des S gegen er der Erhaltung der Autoreifen nicht aus. Somit ist B gem. § 904 BGB gerechtfertigt. <strong>3.</strong> ERGEBNIS B hat sich durch das Zerstechen der Reifen nicht wegen Sachbeschädigung strafb ar gemacht. B. STRAFBARKEIT DES A I. §§ 223 I, 224 I NR. 2 UND 5, 226 I NR. 2 UND 3, II, 25 I, <strong>2.</strong> ALT STGB A könnte die schwere Körperverletzung als mittelbarer Täter begangen haben. Dazu müsste er den B als Werkzeug der Tat benutzt haben. In Betracht kommt hier mittelbare Täterschaft kraft Nötigungsherrschaft . Dies liegt insbesondere dann vor, wenn der Hintermann eine Zwangslage schafft , durch die der unmittelbare Täter in eine Lage des entschuldigenden Notstands kommt. 78 Dies ist hier erfüllt, denn B war gem. § 35 I StGB entschuldigt. Somit hat sich A wegen schwerer Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 und 5, 226 I Nr. 2 und 3, II, 25 I, <strong>2.</strong> Alt StGB strafb ar gemacht. II. §§ 303 I, 25 I, <strong>2.</strong> ALT. STGB Hier liegt ebenfalls eine von A geschaff ene Zwangslage für B vor. B handelte aufgrund dieser Zwangslage gerechtfertigt gem. § 904 BGB, so dass eine Nötigungsherrschaft des A gegeben ist. 79 Somit ist A auch strafb ar wegen Sachbeschädigung in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 303 I, 25 I, <strong>2.</strong> Alt. StGB. Der nach § 303c StGB erforderliche Strafantrag ist gestellt. III. § 240 I STGB A hat den B durch die Drohung mit dem Tod des S auch zum Angriff auf D genötigt, so dass er sich auch wegen Nötigung gem. § 240 I StGB strafb ar gemacht. Die Bedrohung gem. § 241 StGB mit der Begehung eines vorsätzlichen Tötungsdelikts gegen S tritt dahinter zurück. GESAMTERGEBNIS D hat sich wegen Untreue <strong>im</strong> besonders schweren Fall in 10 Fällen in Tatmehrheit, § 53 StGB, strafb ar gemacht. B hat sich wegen Beihilfe zur Untreue in 10 Fällen in Tatmehrheit, § 53 StGB, strafb ar gemacht. A hat sich wegen Menschenraubs, Entziehung Minderjähriger und Aussetzung in Tateinheit sowie in Tatmehrheit dazu der tateinheitlichen schweren Körperverletzung und Sachbeschädigung in mittelbarer Täterschaft und Nötigung strafb ar gemacht. § 224 I Nr. 5 StGB steht zur schweren Körperverletzung zur Klarstellung der Gefährlichkeit der Handlung in Tateinheit. 78 Die Variante des § 224 I Nr. 2 StGB tritt hingegen hinter § 226 StGB zurück. Bearbeitervermerk: Falls man eine Strafb arkeit des A nach § 123 I StGB bejaht, steht diese Tat in Tatmehrheit zu den übrigen verwirklichten Delikten. 78 Vgl. BGHSt 3, 6; 20, 30<strong>7.</strong> 79 Vgl. BGHSt 53, 2<strong>3.</strong>
STUDENT meets <strong>Iurratio</strong> Ausgabe 1 / <strong>2012</strong> Titelthema PRACTICE Das Praktikantenprogramm Vom 20. August bis 2<strong>8.</strong> September <strong>2012</strong> veranstaltet Shearman & Sterling an allen deutschen Standorten zum sechsten Mal das sechswöchige Praktikantenprogramm „Student meets Practice“. Unser Motto lautet: „Mittendrin statt nur dabei.“ Entsprechend werden Sie täglich aktiv in unsere spannende Mandatsarbeit einbezogen und können sich außerdem auf folgende Highlights freuen: - Besuch eines überörtlichen Seminars <strong>im</strong> Rahmen unseres Aus- und Weiterbildungs- programms „Project Brain“ - Teilnahme an den wöchentlich stattfindenden lokalen „Project Brain“-Veranstaltungen - Gemeinsamer Moot Court aller Praktikanten Haben wir Ihr Interesse geweckt? Dann bewerben Sie sich bitte bis zum 3<strong>1.</strong> März <strong>2012</strong> und beachten Sie, dass nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen verfügbar ist. Mehr Informationen finden Sie unter: www.studentmeetspractice.de Wir freuen uns auf Sie! Shearman & Sterling LLP Lizete da Costa I Human Resources I Breite Straße 69 I 40213 Düsseldorf T +4<strong>9.</strong>21<strong>1.</strong>1788<strong>8.</strong>345 I lizete.dacosta@shearman.com 53