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2012 1. 2. 3. 5. 7. 9. 8. Wissenswerte Änderungen im neuen ... - Iurratio

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C. DIE ERSTEN SCHRITTE DES ISTGH<br />

Jede internationale Organisation braucht Zeit, um sich als funktionsfähiger<br />

Akteur auf dem internationalen Parkett zu etablieren. Daher<br />

ist es durchaus beeindruckend, dass der IStGH innerhalb kürzester<br />

Zeit 119 Mitgliedstaaten hinter sich versammeln konnte und offi zielle<br />

Ermittlungen in sieben Konfl iktsituationen aufgenommen hat. 2<br />

Kehrseite der Medaille ist, dass einfl ussreiche Staaten wie die USA,<br />

China, Russland, Indien und fast sämtliche arabische Staaten eine<br />

Ratifi kation des Rom-Statuts bis dato verweigert haben. Ebenso zu<br />

bedauern ist, dass innerhalb der ersten neun Jahre noch keine einzige<br />

Verurteilung zu verbuchen ist. Die Mühlen der internationalen<br />

Justiz mahlen nach wie vor langsam. Derzeit befasst sich der IStGH<br />

offi ziell mit Konfl ikten in sieben Ländern: Demokratische Republik<br />

Kongo, Elfenbeinküste, Kenia, Libyen, Sudan (Darfur), Uganda und<br />

Zentralafrikanische Republik.<br />

Drei dieser Ermittlungen (Kongo, Uganda, Zentralafrikanische Republik)<br />

wurden durch den betroff enen Staat initiiert. Gem. Art. 13<br />

(a) kann jeder Mitgliedstaat eine Situation, d.h. vereinfacht gesagt ein<br />

kr<strong>im</strong>inelles Gesamtgeschehen, zur Ermittlung an den Gerichtshof<br />

verweisen. Ursprünglich ging man davon aus, dass eine solche Initiative<br />

nicht durch den betroff enen Staat, sondern einen unbeteiligten<br />

Mitgliedstaat erfolgt. Eine Initiativbefugnis durch den betroff enen<br />

Staat ist zwar vom Wortlaut des Art. 13 (a) gedeckt, rechtspolitisch<br />

hingegen nicht unbedenklich. So zeigt die bisherige Praxis, dass derart<br />

initiierte Ermittlungen zwar nicht de jure, doch aber de facto Taten<br />

von opponierenden Rebellen in den Blick genommen haben. Taten<br />

der verweisenden Regierung wurden ausgespart. 3 Der Eindruck<br />

der Instrumentalisierung des IStGH durch die verweisenden Staaten<br />

ist kaum von der Hand zu weisen.<br />

Im Fall Kenia hat der Chefankläger des IStGH, Luis Moreno-Ocampo,<br />

von seiner sog. proprio mutu-Kompetenz (Kompetenz, aus eigenem<br />

Antrieb Ermittlungen einzuleiten) Gebrauch gemacht und<br />

nach Genehmigung durch die Vorverfahrenskammer gem. Art. 15<br />

(4) Ermittlungen gegen kenianische Politiker wegen mutmaßlicher<br />

Verbrechen gegen die Menschlichkeit <strong>im</strong> Zusammenhang mit den<br />

Wahlen zum Jahreswechsel 2007/2008 aufgenommen. Ebenso verfahren<br />

ist der Chefankläger <strong>im</strong> Fall der Elfenbeinküste. Eine derart<br />

weitgehende Befugnis des Chefanklägers war bei der Römischen<br />

Konferenz besonders umstritten und wurde von der US-Administration<br />

unter George W. Bush als ein Grund für die Verweigerungshaltung<br />

der USA hervorgehoben. Die politische Unabhängigkeit der<br />

Anklage wurde insbesondere von der Bundesrepublik Deutschland<br />

und den sog. „like-minded states“ jedoch zu einer Kernforderung in<br />

den Verhandlungen gemacht und ist so ein bedeutendes Element des<br />

Statuts geworden. 4<br />

Die Situationen <strong>im</strong> Sudan und in Libyen wurden gem. Art. 13 (b)<br />

i.V.m. Kap. VII der UN-Charta durch den UN-Sicherheitsrat an<br />

den IStGH verwiesen. Durch die Verweisung ist es dem IStGH<br />

ausnahmsweise möglich, Taten zu verfolgen, die weder auf dem<br />

Territorium noch durch Staatsangehörige eines Mitgliedstaats begangen<br />

wurden. Eine derartige Ausweitung der Zuständigkeit ist<br />

völkerrechtlich unumstritten, politisch allerdings heikel. So sind drei<br />

2 Aktuelle Informationen zu den Entwicklungen fi nden sich auf www.iccnow.org.<br />

3 Dazu Akhavan, in: Cr<strong>im</strong>inal Law Forum 2010, 103 (104); Müller/Stegmiller, in: Journal of International<br />

Cr<strong>im</strong>inal Justice 2010, 1267 (1285). Positivere Einschätzung bei Gallavin, in: Cr<strong>im</strong>inal Law Forum<br />

2006, 43 (50).<br />

4 Dazu Brubacher, in: Journal of International Cr<strong>im</strong>inal Justice 2004, 71 (73).<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / <strong>2012</strong><br />

Schwerpunkt<br />

ständige Mitglieder des Sicherheitsrats befugt, Verfahren vor dem<br />

IStGH mitzuinitiieren, obwohl sie selbst das Gericht nicht anerkennen.<br />

Prominenteste Beschuldigte sind Omar al-Bashir, amtierender Präsident<br />

des Sudans, Joseph Kony, Anführer der Rebellengruppe Lords’<br />

Resistance Army, Jean-Pierre Bemba, ehemaliger Präsidentschaft skandidat<br />

<strong>im</strong> Kongo, Laurent Gbagbo, ehemaliger Präsident der Elfenbeinküste<br />

sowie Saif al-Islam Gaddafi , Sohn des verstorbenen<br />

libyschen „Revolutionsführers“ Muhammar Gaddafi . Mit Ausnahme<br />

von Jean-Pierre Bemba und Laurent Gbagbo ist bis dato keiner der<br />

prominenten Verdächtigen den Richtern des IStGH vorgeführt worden.<br />

D. DER ISTGH UND DER „ARABISCHE FRÜHLING“<br />

Das derzeit prominenteste Anschauungsbeispiel liefert das Verfahren<br />

gegen Gaddafi s Sohn Saif al-Islam. Am 26.<strong>2.</strong>2011 erließ der UN-Sicherheitsrat<br />

Res. 1970 (2011) und verwies die Situation in Libyen an<br />

den IStGH. Dieser sollte ermitteln, ob und inwiefern <strong>im</strong> Rahmen der<br />

Revolution gegen den „Revolutionsführer“ Muhammar Gaddafi von<br />

den Konfl iktparteien Straft aten <strong>im</strong> Sinne des Rom-Statuts begangen<br />

wurden. Nicht einmal drei Monate später beantragte der Chefankläger<br />

Haft befehl. Am 2<strong>7.</strong> Juni 2011 erließ die Vorverfahrenskammer I<br />

Haft befehle gegen Muhammar Gaddafi und seinen Sohn wegen der<br />

mutmaßlichen Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 5<br />

Im Folgenden soll zunächst die aktuelle Lage und das Verfahren gegen<br />

Saif al-Islam in den Blick genommen werden. Dann soll eine<br />

kurze Rückblende gewagt werden, um die Probleme des geplanten<br />

Verfahrens gegen dessen Vater, Muhammar Gaddafi , zu erläutern,<br />

die typisch für die Probleme internationaler Strafverfolgung gewesen<br />

sind.<br />

I. SAIF AL-ISLAM UND DER GRUNDSATZ DER<br />

KOMPLEMENTARITÄT<br />

Die Position der <strong>neuen</strong> Machthaber in Tripoli ist eindeutig: Saif<br />

al-Islam soll für seine Taten haft bar gemacht und vor ein libysches<br />

Gericht gestellt werden. Die Verantwortlichen des IStGH machten<br />

jedoch schnell deutlich, dass sie nicht ohne Weiteres bereit sind, den<br />

libyschen Machthabern das Feld zu überlassen. Schließlich wurde<br />

vor dem IStGH bereits ein Verfahren angestrengt. 6 Stellt sich nun die<br />

Frage: Vor welches Gericht sollte Saif al-Islam gestellt werden? Das<br />

Rom-Statut gibt die Richtung vor. Die Präambel proklamiert: „{...}<br />

nachdrücklich darauf hinweisend, dass der aufgrund dieses Statuts<br />

errichtete Internationale Strafgerichtshofs die innerstaatliche Strafgerichtsbarkeit<br />

ergänzt {...}“. Auch in Artikel 1 des Rom-Statuts wird<br />

der Grundsatz der Komplementarität ausdrücklich erwähnt. Art. 17<br />

regelt, dass nationale Strafverfahren grundsätzlich dem Verfahren<br />

vor dem IStGH vorgehen. Art. 17 schränkt die Zuständigkeit allerdings<br />

nur dann ein, wenn tatsächlich ein formelles Verfahren durch<br />

nationalstaatliche Strafverfolgungsorgane eingeleitet wird. Reine,<br />

auch ernst gemeinte, Absichtsbekundungen seitens der siegreichen<br />

Rebellen sind damit nicht ausreichend, um dem IStGH das Verfahren<br />

zu entziehen. Zudem trägt der verfolgungswillige Staat die Beweislast<br />

für die Existenz eines Strafverfahrens. So hat die Berufungskammer<br />

des IStGH festgestellt, dass ein Staat darlegen muss, welche Schritte<br />

5 Warrant of Arrest for Muammar Mohammed Abu Minyar Gaddafi , v. 2<strong>7.</strong>6.2011 (ICC-01/11-13).<br />

Warrant of Arrest for Saif al-Islam Gaddafi , v. 2<strong>7.</strong>6.2011 (ICC-01/11-14).<br />

6 Siehe Presserklärung v. 2<strong>3.</strong>1<strong>1.</strong>2011, abrufb ar unter www.icc-cpi.int.<br />

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