2009/10 - Rabanus-Maurus-Schule
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Besuch von Point Alpha<br />
anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls<br />
P<br />
oint Alpha war einer von vier US-Beobachtungsstützpunkten an der hessischen<br />
innerdeutschen Grenze. Über vier Jahrzehnte lang erfüllte „Point Alpha“<br />
wichtige Beobachtungsaufgaben für das Verteidigungskonzept der NATO. Auf der anderen<br />
Seite waren entsprechende Beobachtungsstützpunkte des Warschauer Paktes<br />
errichtet. Der Stützpunkt wird auch als „heißester Punkt im kalten Krieg bezeichnet“,<br />
da er im Zentrum der NATO-Verteidigungslinie „Fulda-Gap“ (Fuldaer Lücke) lag. Hier<br />
erwartete die Nato im Ernstfall die Invasion der Truppen des Warschauer Paktes.<br />
Heute ist „Point Alpha“ der Name der Gedenkstätte zwischen Geisa (Thüringen) und<br />
Rasdorf (Hessen). Sie wurde errichtet, damit dieses wichtige Kapital der deutschen<br />
Geschichte in Erinnerung bleibt. Die Konfrontation zwischen den beiden Machtblöcken<br />
– NATO und Warschauer Pakt – wird hier authentisch dargestellt und erlebbar.<br />
Aufbau von Grenzanlagen mit ihren Sicherungselementen, militärische Abläufe sowie<br />
das Leben der Bevölkerung an und mit der Grenze werden in der Gedenkstätte<br />
thematisiert.<br />
Am Montag, dem 9. November <strong>2009</strong>, dem 20. Jahrestag des Mauerfalls, fuhr meine<br />
Klasse, die <strong>10</strong>e der <strong>Rabanus</strong>-<strong>Maurus</strong>-<strong>Schule</strong>, gemeinsam mit den Schülern der Klassen<br />
<strong>10</strong>b und 11 a zum Grenzmuseum „Point Alpha“, um dort hautnah das Jubiläum zu erleben.<br />
Begleitet wurden wir von unserem Lehrer in Politik und Wirtschaft, Herrn Bauer,<br />
sowie durch Frau Schäfer und Herrn Kramß.<br />
Nach einer halbstündigen Busfahrt nach Rasdorf erreichten wir kurz darauf die Gedenkstätte<br />
„Point Alpha“. Dort begrüßte uns die Veranstalterin, Frau Uta Thofern,<br />
herzlich. Nach ihren Grußworten wurde uns ein Ausschnitt des Theaterstücks „Wiedervereinigung<br />
– was geht es uns an?“ von den Schülern des „Gymnasiums Vacha“<br />
vorgeführt. Obwohl diese <strong>Schule</strong> in Thüringen liegt, kommt ein sehr großer Teil der<br />
Schülerschaft aus Hessen. An diesem Beispiel konnte man sehen, dass innerhalb der<br />
letzten 20 Jahre Deutschland wieder zusammengewachsen ist.<br />
Anschließend stellten sich Zeitzeugen vor. Jeder gab einen kurzen Einblick in seine<br />
Lebensgeschichte. So z.B. der 30-jährige Rasdorfer, David Altheide. Er war einer der<br />
DDR-Flüchtlinge in der deutschen Botschaft in Prag. Er konnte als damals <strong>10</strong>-jähriger<br />
live miterleben, wie der damalige Außenminister, Hans-Dietrich Genscher die<br />
Ausreise verkündete. Auch der Leipziger Bürgerrechtler und Träger des Bundesverdienstordens<br />
Gunther Weißgerber berichtete über die Umbrüche und Ereignisse des<br />
Novembers 1989, welche er als regelmäßiger Redner während der Montagsdemonstrationen<br />
in Leipzig hautnah miterlebt hat.<br />
Später hatten wir Gelegenheit mit Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen. Zunächst<br />
erfuhren wir das Schicksal von Frau Marie Luise Tröbs. Sie lebte mit ihrer Familie im<br />
Grenzgebiet. Abgesandte der Regierung in der DDR informierten ihre Eltern, dass sie<br />
zwangsausgewiesen werden und bis mittags 12.00 Uhr die Stadt zu verlassen hätten.<br />
Vor der Tür standen LKWs bereit, auf die die Familie ihr Hab und Gut verstauen sollte.<br />
Sie konnten aber nur so viel mitnehmen, wie sich im Endeffekt auf den LKWs Platz<br />
fand. Außerdem wollte die Familie ihr Auto mitnehmen. Dies wurde zuerst von dem<br />
Beamten verweigert, dann aber zugelassen. Die Fahrt erfolgte in einer geschlossenen<br />
Kolonne – in der Mitte der Familienwagen, um eine Flucht auszuschließen. Viele<br />
Schaulustige standen am Straßenrand. Der Vater von Frau Tröbs fuhr das Familienauto.<br />
Frau Tröbs musste mit ihrer Mutter in den Beamtenwagen an der Spitze der<br />
Kolonne einsteigen. Der Gang durch die Menschenmassen war eines der schlimmsten<br />
Erlebnisse für die Zeitzeugin. Als sie dann in ihrem neuen Heimatsort ankamen, wurden<br />
sie feindselig behandelt. Die neuen Nachbarn wussten nichts über die Familie,<br />
aber ihnen wurde erzählt, dass sie schwere Verbrecher seien. So suchte keiner den<br />
Kontakt zur Familie.<br />
Im Anschluss berichtete eine weitere Zeitzeugin, Frau Nennstiel, über den Alltag und<br />
das Leben im Grenzgebiet der DDR. Sie lebt heute noch in dem Ort Unterbreizbach,<br />
welcher sich zwischen Philippstal und Rasdorf befindet. Dort erfuhren wir Dinge,<br />
wie z.B. Kontrollen von DDR-Bürgern, welche in das Grenzgebiet gelangen wollten,<br />
dass nur Verwandte ersten Grades dort einen Passierschein erhielten, Enkelkinder<br />
also nicht die Großeltern zum Geburtstag besuchen konnten und über das Leben mit<br />
den Grenztruppen und sowjetischen Soldaten. Nach diesen sehr interessanten Ge-<br />
sprächen gingen wir ins große Zelt zurück, um unser<br />
zweites Zeitzeugengespräch zu hören, bei dem mir das<br />
Schicksal von Herrn Fey besonders auffiel:<br />
Herr Fey unternahm zwei Fluchtversuche aus der DDR.<br />
Bei dem ersten Versuch war er als 17-jähriger mit einer<br />
größeren Gruppe unterwegs. Ein Teilnehmer hatte die<br />
Gruppe verraten, so dass die Stasi (Staatssicherheit)<br />
rechtzeitig informiert worden war. So misslang dieser<br />
Versuch und Herr Fey kam für mehrere Jahre ins Gefängnis<br />
wegen versuchter Republikflucht. Bei seinem<br />
zweiten Versuch waren sie nur zu zweit. Diesmal fand<br />
der Versuch unmittelbar an der heutigen Point Alpha<br />
Gedenkstätte statt. Herr Fey wurde durch elf Kugeln<br />
einer Selbstschussanlage in seine Beine getroffen und<br />
blieb reglos auf dem Todesstreifen liegen. Die US Amerikaner,<br />
die dort ihr Camp hatten, mussten dies mit<br />
ansehen, ohne dass sie etwas tun konnten, weil Herr<br />
Vey noch auf dem Gebiet der DDR war. Ein wenig später<br />
fuhr ein Wagen der DDR vor, bei dem Männer ausstiegen,<br />
die den leblosen Körper einluden und wieder<br />
wegfuhren. Im Westen dachte man, dass Herr Fey getötet<br />
worden sei und errichtete für ihn ein Birkenkreuz,<br />
welches noch heute dort steht, aber nun ein Mahnmal<br />
für diese Zeit ist.<br />
Nach diesem Gespräch fuhren wir um einige interessante<br />
Erfahrungen reicher wieder zurück nach Fulda.<br />
Ich fand den Ausflug sehr interessant. Wir konnten<br />
Zeitzeugen hören, die uns ihre Erlebnisse sehr detailliert<br />
wiedergeben konnten. Durch diesen persönlichen<br />
Kontakt erlebte man dieses Kapitel der deutschen Geschichte<br />
sehr intensiv.<br />
Gerade für uns Jugendliche, die wir diese Zeit der<br />
deutsch-deutschen Grenze nicht erlebt haben, ist es<br />
wichtig, uns mit diesem Thema auseinanderzusetzen,<br />
damit sich Fehler der Geschichte nicht wiederholen<br />
und die Verständigung der Menschen zwischen Ost<br />
und West weiter verbessert wird, damit der „Ossi“ und<br />
„Wessi“ eines Tages der Vergangenheit angehört.<br />
Niklas Brehl, Klasse <strong>10</strong>e<br />
63 Berichte aus dem Schulleben Exkursionen<br />
<strong>2009</strong>/<strong>10</strong>