Gemeinschafts- diagnose
20151008_gd_herbst_gutachten
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Deutschland<br />
Kasten 3.3<br />
Effekte der Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns auf die Verdienste<br />
Seit Anfang dieses Jahres gilt in Deutschland ein gesetzlicher<br />
Mindestlohn von brutto 8,50 Euro je Stunde. Ausgenommen<br />
von dieser Regulierung sind bis Ende 2016 diejenigen<br />
Branchen, in denen qua Tarifvertrag Entgelte unterhalb der<br />
Mindestlohngrenze vereinbart sind. 1 Eine Reihe vor Einführung<br />
des Mindestlohns veröffentlichter Studien wies darauf hin,<br />
dass sich der Mindestlohn in regionaler und sektoraler Hinsicht<br />
sowie mit Blick auf die Art der Beschäftigungsverhältnisse<br />
selektiv auf die Lohnentwicklung auswirken dürfte. 2 Diese<br />
1 Überdies sind bestimmte Arbeitnehmergruppen wie Auszubildende,<br />
Heranwachsende, Personen, die ein wenige Wochen dauerndes Pflichtpraktikum<br />
absolvieren, sowie Langzeitzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten<br />
ihrer Anstellung ausgenommen. Zudem gibt es Übergangsbestimmungen<br />
für Saisonarbeiter.<br />
2 Vgl. dazu Projektgruppe <strong>Gemeinschafts</strong><strong>diagnose</strong> (2014), Deutsche<br />
Konjunktur im Aufschwung – aber Gegenwind von der Wirtschaftspolitik,<br />
<strong>Gemeinschafts</strong><strong>diagnose</strong> Frühjahr 2014, Berlin, S. 48–51 sowie die Auswertungen<br />
von Kalina, T. und C. Weinkopf (2014), Niedriglohnbeschäftigung<br />
2012 und was ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 € verändern könnte,<br />
Erwartung wird durch die inzwischen bis zum zweiten Quartal<br />
2015 vorliegenden amtlichen Daten der Arbeitnehmerverdienste<br />
bestätigt. 3<br />
Danach stiegen die Bruttostundenlöhne bei einfachen Tätigkeiten,<br />
die keine Berufsausbildung oder längere Einarbeitung<br />
erfordern, stärker als der Durchschnitt. 4 Bei Vollzeit- und<br />
Teilzeitbeschäftigten zusammengenommen waren die Löhne<br />
bei solchen Tätigkeiten im zweiten Quartal 2015 um 3,3 Prozent<br />
höher als ein Jahr zuvor, verglichen mit einem Plus von<br />
2,7 Prozent bei den Arbeitnehmern insgesamt (Tabelle 3.12).<br />
Ausgeprägter war der Unterschied bei Teilzeitjobs: Während<br />
alle Teilzeitbeschäftigten 2,0 Prozent mehr je Stunde bekamen,<br />
betrug der Lohnanstieg bei Teilzeitkräften mit einfachen<br />
Tätigkeiten 3,8 Prozent. Noch stärker fiel das Plus bei den<br />
geringfügig Beschäftigten aus. Angaben über die Stundenlöhne<br />
sind für diese Gruppe zwar nicht verfügbar, wohl aber<br />
Informationen über die Monatslöhne; sie waren im zweiten<br />
Quartal um 5,6 Prozent höher als im entsprechenden Zeitraum<br />
des Vorjahres.<br />
Tabelle 3.12<br />
Bruttostundenverdienste nach Leistungsgruppen 1<br />
Veränderung gegenüber dem Vorjahresquartal in Prozent<br />
2. Quartal 2015<br />
Deutschland<br />
Vollzeit- und<br />
Teilzeitbeschäftigte<br />
Vollzeitbeschäftigte<br />
Teilizeitbeschäftigte<br />
Minijobber 2<br />
Alle Arbeitnehmer 2,7 3,1 2,0 5,6<br />
Führungskräfte 3,0 3,0 3,8<br />
Hochqual. Fachkräfte 3,4 3,5 3,2<br />
Fachkräfte 2,8 3,1 1,8<br />
Angelernte Arbeitnehmer 3,0 3,4 2,5<br />
Ungelernte Arbeitnehmer 3,3 3,4 3,8<br />
1 In Betrieben mit 10 und mehr Beschäftigten; ohne Landwirtschaft und Privathaushalte.<br />
2 Bruttomonatsverdienste<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt.<br />
© GD Herbst 2013<br />
Große Unterschiede zeigen sich zwischen West- und Ostdeutschland.<br />
Bei Arbeitnehmern mit einfachen Tätigkeiten<br />
stiegen im besagten Zeitraum im Westen die Löhne mit<br />
2,6 Prozent kaum stärker als der Durchschnitt (2,4 Prozent),<br />
im Osten legten sie dagegen mit 8,4 Prozent doppelt<br />
so kräftig zu wie der Durchschnitt. Bei den ostdeutschen<br />
Ländern fällt auf, dass die Löhne auch in anderen Tätig-<br />
IAQ-Report 2014-02, Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität<br />
Duisburg-Essen; Brautzsch, H.-U. und B. Schultz (2013), Im Fokus: Mindestlohn<br />
von 8,50 Euro: Wie viele verdienen weniger, und in welchen Branchen<br />
arbeiten sie? Wirtschaft im Wandel 19 (3), S. 53–56 und Brenke, K. (2014),<br />
Mindestlohn: Zahl der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer wird weit<br />
unter fünf Millionen liegen, DIW Wochenbericht 5/2014, S. 71–77.<br />
3 Eine Betrachtung der Lohnentwicklung nach der Einführung des<br />
gesetzlichen Mindestlohns anhand dieser Daten wurde von der Deutschen<br />
Bundesbank vorgelegt Vgl. Deutsche Bundesbank (2015), Erste Anhaltspunkte<br />
zur Wirkung des Mindestlohns auf den Verdienstanstieg, Monatsbericht<br />
67 (8), Frankfurt, S. 58–59.<br />
4 Die Statistik der Arbeitnehmerverdienste enthält nur Angaben über<br />
die Beschäftigten in Betrieben mit im Allgemeinen 10 und mehr Arbeitnehmern;<br />
ausgeklammert aus den Erhebungen sind die Landwirtschaft<br />
und die privaten Haushalte.<br />
Lohnanhebungen vereinbart worden, die geringer ausfallen<br />
als 2015 (etwa im Einzelhandel); im öffentlichen<br />
Dienst der Länder kommt es indes zu einem leicht erhöhten<br />
Lohnanstieg. Für die noch anstehenden Tarifrunden<br />
erwarten die Institute angesichts einer hohen Arbeitsnachfrage<br />
und einer gestärkten Verhandlungsposition<br />
der Arbeitnehmer etwas kräftigere Steigerungen, zumal<br />
die Runde für den öffentlichen Dienst des Bundes und<br />
der Gemeinden vor dem Hintergrund einer entspannten<br />
Kassenlage stattfindet. Im Jahresdurchschnitt dürften<br />
die Tariflöhne auf Stunden- und auf Monatsbasis im<br />
kommenden Jahr um jeweils 2,5 Prozent zunehmen.<br />
46 GD Herbst 2015