Gemeinschafts- diagnose
20151008_gd_herbst_gutachten
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Bestandsaufnahme zur Potenzialschätzung<br />
Kasten 6.1<br />
Der Produktionsfunktionsansatz der Europäischen Kommission zur Schätzung<br />
des Produktionspotenzials<br />
Für die Schätzung des Produktionspotenzials wird angenommen,<br />
dass der gesamtwirtschaftliche Output auf Grundlage<br />
einer Cobb-Douglas-Produktionsfunktion mit den Produktionsfaktoren<br />
Arbeit (L) und Kapital (K) sowie dem technischen<br />
Fortschritt (Totale Faktorproduktivität bzw. Solow-Residuum,<br />
SR) bestimmt werden kann (vgl. Kapitel 4 „Mittelfristige<br />
Projektion“): 1<br />
Y = L 0,65 K 0,35 SR.<br />
Das Produktionspotenzial (YPOT) errechnet sich aus dem<br />
Trend des Faktors Arbeit (LP), dem Kapitalstock (K) sowie<br />
dem trendmäßigen Verlauf der Totalen Faktorproduktivität<br />
(SRT), d.h. YPOT = LP 0,65 K 0,35 SRT.<br />
Der potenzielle Arbeitseinsatz (LP) ergibt sich gemäß der<br />
Gleichung:<br />
LP = POPW ∙ PARTS ∙ (1 − NAWRU) ∙ HOURST,<br />
mit den folgenden Komponenten:<br />
• POPW bezeichnet die Bevölkerung im erwerbsfähigen<br />
Alter (15 bis 74 Jahre).<br />
• PARTS ist der Trend des Verhältnisses der Erwerbspersonen<br />
und der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Im hier<br />
verfolgten Ansatz ergibt sich die Partizipationsrate für die<br />
1 Die Elastizitäten der Produktionsfaktoren werden von der Europäischen<br />
Kommission vorgegeben.<br />
Vergangenheit residual aus der Gleichung für das tatsächliche<br />
Arbeitsvolumen L.<br />
• NAWRU bezeichnet die strukturelle Erwerbslosenquote.<br />
• Der Trend der geleisteten Arbeitsstunden je Erwerbstätigen<br />
wird mit HOURST bezeichnet.<br />
Die Berechnung des Kapitalstocks bis zum Ende der Kurzfristprognose<br />
ergibt sich aus der Fortschreibungsmethode<br />
K = I + (1 − dep) K −1,<br />
wobei I die Bruttoanlageinvestitionen bezeichnet. Die<br />
Abschreibungsrate dep entspricht ab dem ersten Prognosejahr<br />
ihrem Wert aus dem Vorjahr, der gemäß dep =<br />
(I – (K – K −1) ⁄ K −1) berechnet wird.<br />
Die Partizipationsrate, die durchschnittlichen Arbeitsstunden<br />
und die Investitionsquote (I / YPOT) werden mittels Zeitreihenmodellen<br />
über das Ende der Kurzfristprognose hinaus<br />
fortgeschrieben und anschließend mit einem HP-Filter trendbereinigt.<br />
Die NAWRU wird mit einem strukturellen Zeitreihenmodell<br />
geschätzt, das auf einer Phillips-Kurve beruht.<br />
Der Trend des technischen Fortschritts wird mit SRT bezeichnet.<br />
Zuerst wird das Solow-Residuum berechnet, welches sich<br />
für den Beobachtungszeitraum nach Einsetzen der Produktionsfaktoren<br />
(L, K) und des Bruttoinlandsprodukts (Y) in die<br />
Produktionsfunktion ergibt. Der Trend wird dann mit einem<br />
strukturellen Modell ermittelt, das die Bestimmung von Trend<br />
und Zyklus mit Umfragedaten zur Kapazitätsauslastung<br />
verknüpft.<br />
Wichtig ist bei alledem, dass das Konjunkturbereinigungsverfahren<br />
für die politischen Akteure und die<br />
Öffentlichkeit gut nachvollziehbar ist. Daher sind Verfahren<br />
umso besser geeignet, je geringer die Eingriffsmöglichkeiten<br />
sind und je transparenter das Vorgehen<br />
ist. Auch sollte die Replizierbarkeit der Schätzergebnisse<br />
gewährleistet sein.<br />
Methoden der Potenzialschätzung<br />
Grundsätzlich stehen für die Schätzung des Produktionspotenzials<br />
rein statistische Filterverfahren, auf<br />
einer Produktionsfunktion beruhende Methoden sowie<br />
modellbasierte Verfahren zur Verfügung. 6 Rein statistische<br />
Filterverfahren nehmen lediglich eine Zerlegung<br />
von Zeitreihen in eine zyklische und eine in der<br />
Regel glatter verlaufende Trendkomponente vor. Bei univariaten<br />
statistischen Filterverfahren gehen nur Daten<br />
der zugrundeliegenden Reihe (insbesondere des Bruttoinlandsprodukts),<br />
aber keine ökonomisch-theoretischen<br />
Überlegungen ein. Am häufigsten wird sowohl<br />
in der Literatur als auch in der Praxis auf den Zeitrei-<br />
6 Für einen Überblick über die Verfahren vgl. z.B. Weyerstraß, K. (2001),<br />
Methoden der Schätzung des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotentials<br />
und der Produktionslücke. IWH-Diskussionspapiere, Nr. 142, Halle/Saale.<br />
GD Herbst 2015<br />
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