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Gemeinschafts- diagnose

20151008_gd_herbst_gutachten

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Wirtschaftspolitik<br />

5. Zur Wirtschaftspolitik<br />

In der politischen Diskussion in Deutschland steht derzeit<br />

die kurzfristige Bewältigung der Flüchtlingsmigration<br />

im Vordergrund. Dabei verschwimmt in der tagesaktuellen<br />

Debatte mitunter die Unterscheidung zwischen<br />

der Reaktion auf die Fluchtmigration und einer<br />

langfristig orientierten Einwanderungspolitik, die primär<br />

an wirtschaftlichen Interessen der Zielländer ausgerichtet<br />

ist. Die fluchtbedingte Migration ist kein Ersatz<br />

für eine vernünftige Zuwanderungspolitik; vielmehr ist<br />

sie als humanitäre Aufgabe mit erheblichen Belastungen<br />

verbunden. Allerdings sind mit der Flüchtlingsmigration<br />

durchaus auch Chancen für die Zielländer verbunden,<br />

wenn mit den richtigen wirtschaftspolitischen<br />

Maßnahmen die Integration der Zuwandernden gelingt.<br />

Wie auch die europäische Schulden- und Vertrauenskrise<br />

zeigt die aktuelle Flüchtlingskrise, dass bei der<br />

Lösung europäischer Herausforderungen die nationale<br />

Lastenverteilung im Vordergrund steht und nicht die<br />

sachorientierte Problemlösung durch Behebung institutioneller<br />

Unzulänglichkeiten. Ein gemeinsames Vorgehen<br />

der Staatengemeinschaft ist bislang kaum zu erkennen,<br />

sondern bestehende Regeln werden aus nationalem<br />

Interesse im Krisenmodus außer Kraft gesetzt.<br />

Engere Kooperation<br />

in der Währungsunion erforderlich …<br />

Die Bereitschaft zur Behebung institutioneller Schwächen<br />

der Europäischen Union ist immer dann äußerst<br />

gering, wenn damit die Aufgabe politischer Souveränität<br />

oder die Verteilung von Kosten verbunden ist. So hat<br />

die Schulden- und Vertrauenskrise in der Währungsunion<br />

zwar im Zuge einer Vielzahl kurzfristig stabilisierender<br />

Maßnahmen an Schärfe verloren (Abschnitt<br />

„Zur Geldpolitik“), und die wirtschaftliche Lage in vielen<br />

Ländern verbessert sich erkennbar; auch hat die<br />

Krise durchaus Reformprozesse – etwa mit den Vereinbarungen<br />

zur Bankenunion – in Gang gesetzt, die<br />

die künftige Stabilität des Euroraums erhöhen dürften. 1<br />

Zentrale Schwächen des institutionellen Fundaments<br />

der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion<br />

bleiben aber bestehen. Insbesondere hat der Konflikt<br />

1 Zu den Risiken einer solchen Schrittmacherfunktion von Krisen im europäischen<br />

Integrationsprozesses. Vgl. Fichtner, F. und P. König (2015), Über die Krise<br />

zur Einheit? 25 Jahre monetärer Integrationsprozess in Europa, DIW Wochenbericht<br />

Nr. 27/2015.<br />

zwischen der griechischen Regierung und der Eurogruppe<br />

in der ersten Jahreshälfte 2015 erneut gezeigt,<br />

dass es bisher nicht gelungen ist, eine wirksame Koordination<br />

der Finanzpolitik unter den Mitgliedstaaten<br />

zu gewährleisten. 2<br />

In einer Währungsunion hat die Finanzpolitik eines<br />

Mitgliedstaates Auswirkungen auf die übrigen Staaten.<br />

So fallen die ökonomischen Kosten und Nutzen einer<br />

zu expansiven Finanzpolitik in einer Währungsunion<br />

mit dezentraler Finanzpolitik nicht zusammen: Zahlungsprobleme<br />

eines einzelnen Landes beeinträchtigen<br />

die Stabilität des gesamten Währungsraumes. Deshalb<br />

sollten der nationalen Finanzpolitik Grenzen gesetzt<br />

werden.<br />

Der Kapitalmarkt kann hierbei als Disziplinierungsmechanismus<br />

dienen, indem unsolide Haushaltspolitik<br />

durch Risikoprämien sanktioniert wird. Die Nichtbeistands-Klausel<br />

des Maastricht-Vertrags gilt als zentrale<br />

Voraussetzung für die Wirksamkeit dieses Mechanismus,<br />

da sie eine Haftung der EU und ihrer Mitgliedstaaten<br />

für die Verbindlichkeiten einzelner Länder ausschließt.<br />

Offenbar war diese Klausel in der Vorkrisenzeit<br />

aber nicht glaubwürdig; das erklärt, warum auch Länder<br />

mit hoher öffentlicher Verschuldung keine höheren<br />

Zinsen auf ihre Staatsverschuldung bezahlen mussten<br />

und demnach von den Finanzmärkten keine disziplinierende<br />

Wirkung auf Mitgliedsländer mit nicht nachhaltiger<br />

Finanzpolitik ausging. Um die Glaubwürdigkeit<br />

der Nichtbeistands-Klausel zu stärken, haben die<br />

Institute in der Vergangenheit vorgeschlagen, in Ergänzung<br />

zu einem Krisenreaktionsmechanismus klare Regeln<br />

für den Fall einer Insolvenz eines Mitgliedstaates<br />

zu formulieren und damit ein institutionelles Fundament<br />

für die Nichtbeistands-Klausel zu legen. 3<br />

Grundsätzlich sind finanzpolitische Regeln zur Minderung<br />

des beschriebenen externen Effekts geeignet. Der<br />

mit dem Fiskalpakt geschärfte Stabilitäts- und Wachstumspakt<br />

mag ein Ausgangspunkt sein; angesichts der<br />

Erfahrungen mit der Einhaltung von finanzpolitischen<br />

2 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen<br />

Entwicklung (2015), Konsequenzen aus der Griechenland-Krise für einen stabilen<br />

Euro-Raum, Sondergutachten, Juli 2015.<br />

3 Vgl. Projektgruppe <strong>Gemeinschafts</strong><strong>diagnose</strong> (2011), Aufschwung setzt sich<br />

fort – Europäische Schuldenkrise noch ungelöst, <strong>Gemeinschafts</strong><strong>diagnose</strong> Herbst<br />

2011, Essen.<br />

GD Herbst 2015<br />

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