Gemeinschafts- diagnose
20151008_gd_herbst_gutachten
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Wirtschaftspolitik<br />
Zu Beginn des Programms wurde vereinzelt die Sorge<br />
geäußert, dass es insbesondere aufgrund bestimmter<br />
Ankaufmodalitäten zu Knappheiten bei den für die<br />
Käufe zur Verfügung stehenden Wertpapieren kommen<br />
könne. 44 Zum einen darf das Eurosystem keine Anleihen<br />
mit einer Umlaufsrendite unterhalb des aktuellen Einlagesatzes<br />
erwerben, um Verluste zu vermeiden. Diese<br />
Einschränkung war vorübergehend im April dieses Jahres<br />
für einen Teil der deutschen Anleihen bindend, als<br />
die durchschnittliche Umlaufsrendite von Bundesanleihen<br />
mit Restlaufzeiten bis zu 4 Jahren unter −0,2 Prozent<br />
sank. Seither sind die deutschen Umlaufsrenditen<br />
jedoch wieder gestiegen, so dass aktuell nur Bundesanleihen<br />
mit Restlaufzeiten unter 3 Jahren betroffen sind.<br />
Zum anderen sah die ursprüngliche Ausgestaltung<br />
des Anleihekaufprogramms vor, dass das Eurosystem<br />
höchstens 25 Prozent einer einzelnen Anleiheemission<br />
erwerben darf. 45 Damit sollte der Möglichkeit einer<br />
Sperrminorität auf Seiten des Eurosystems vorgebeugt<br />
werden, die im Falle einer etwaigen Umstrukturierung<br />
von Schulden bei Zahlungsschwierigkeiten des Emittenten<br />
relevant werden könnte. 46 Diese Einschränkung<br />
hätte jedoch bei einigen Ländern des Euroraums, etwa<br />
Slowenien, Litauen oder der Slowakei, dazu führen können,<br />
dass die nach dem Kapitalschlüssel vorgesehenen<br />
Käufe nicht wie geplant bis mindestens September 2016<br />
hätten durchgeführt werden können. Die Obergrenze<br />
von 25 Prozent wäre bereits im Frühjahr 2016 erreicht<br />
worden. 47 Dies dürfte unter anderem der Grund gewesen<br />
sein, weshalb diese Obergrenze auf der Sitzung des<br />
EZB-Rates im September 2015 auf nunmehr 33 Prozent<br />
44 Vgl. Claeys, G., A. Leandro, A. Mandra (2015), European Central Bank<br />
quantitative easing: The detailed manual, Bruegel Policy Contribution<br />
2015/02.<br />
45 Außerdem darf das Eurosystem nicht mehr als 33 Prozent sämtlicher<br />
ausstehender Schuldtitel eines Emittenten ankaufen. Da das Eurosystem ohnehin<br />
nicht mehr als 25 Prozent einer einzelnen Emission erwerben darf, dürfte<br />
sich diese zusätzliche Beschränkung insbesondere auf Mitgliedsländer beziehen,<br />
deren Anleihen schon zuvor im Rahmen des zwischen Mai 2010 und<br />
September 2012 durchgeführten Programms für Wertpapiermärkte erworben<br />
wurden und bei denen die EZB bereits mehr als 25 Prozent einzelner Emissionen<br />
in seinem Bestand hält.<br />
46 Seit dem 1. Januar 2013 sind die Mitgliedsstaaten des Euroraums gemäß<br />
dem ESM-Vertrag verpflichtet, neu begebene Anleihen mit einer Laufzeit über<br />
einem Jahr mit einer standardisierten „Collective Action Clause“ auszugestalten.<br />
Diese sieht für Umschuldungen und Schuldenrestrukturierungen eine<br />
Zustimmung von mindestens 75 Prozent sämtlicher Anleihehalter vor. Eine<br />
Zustimmung der EZB zu etwaigen Restrukturierungen könnte als monetäre<br />
Staatsfinanzierung interpretiert werden. Durch die Ankaufgrenze von 25 Prozent<br />
vermeidet die EZB eine Situation bei der sie vor der Wahl stehen könnte,<br />
entweder eine Umschuldung zu blockieren oder aber ihre Zustimmung zu<br />
monetärer Staatsfinanzierung zu geben.<br />
47 Vgl. Claeys, G., A. Leandro, A. Mandra (2015), a. a. O..<br />
angehoben wurde. 48 Die Obergrenze dürfte unter Umständen<br />
dann wieder an Bedeutung gewinnen, falls<br />
der EZB-Rat eine Erhöhung der monatlichen Ankäufe<br />
oder eine Verlängerung des Ankaufprogramms über<br />
September 2016 hinaus beschließen sollte. In beiden<br />
Fällen könnte die Einschränkung bindend und eine erneute<br />
Veränderung der Ankaufmodalitäten notwendig<br />
werden. Diese Problematik zeigt erneut, dass die Geldpolitik<br />
im Euroraum aufgrund der nationalen Zuständigkeit<br />
für die Finanzpolitik stärker restringiert ist als<br />
dies in Währungsräumen mit einheitlicher Finanzpolitik<br />
der Fall ist.<br />
Fazit<br />
Die jüngsten Maßnahmen der EZB zur Liquiditätsbereitstellung<br />
an den Bankensektor dürften die Kreditvergabe<br />
an den privaten Sektor im Euroraum etwas belebt<br />
und die konjunkturelle Erholung gestützt haben. Aus<br />
Sicht der Institute besteht derzeit kein Anlass, eine Verlängerung<br />
des Anleihekaufprogramms über den September<br />
2016 hinaus oder eine Aufstockung der monatlichen<br />
Käufe in Erwägung zu ziehen. Zum einen ist der<br />
deutliche Rückgang der Energiepreise maßgeblich für<br />
die derzeit niedrige Inflation verantwortlich. Dieser Effekt<br />
dürfe jedoch in den kommenden Monaten sukzessive<br />
auslaufen. Zum anderen befindet sich der Euroraum<br />
in einer konjunkturellen Erholungsphase. Mit zunehmender<br />
Auslastung der Produktionskapazitäten dürfte<br />
sich auch die Inflationsrate nach und nach wieder der<br />
Zielmarke der EZB nähern.<br />
Darüber hinaus ist unter den gegebenen Regeln eine<br />
Verlängerung oder Aufstockung des Anleihekaufprogramms<br />
schwerlich möglich. Bereits jetzt deutet sich<br />
an, dass insbesondere die Staatsanleihen einiger Mitgliedsländer<br />
dafür nicht in ausreichendem Maße zur<br />
Verfügung stehen würden. Vorsicht ist auch geboten,<br />
weil durch die Geldpolitik ausgelöste Fehlentwicklungen<br />
nicht auszuschließen sind. So wiesen die Institute<br />
bereits in ihrem Frühjahrsgutachten darauf hin, dass<br />
der Kauf von Staatsanleihen durch das Eurosystem mit<br />
erheblichen Risiken für die Finanzstabilität und für die<br />
Stabilität der öffentlichen Finanzen im Euroraum verbunden<br />
ist.<br />
48 Diese Entscheidung unterliegt der Einschränkung, dass nach wie vor keine<br />
Sperrminorität erreicht wird, z. B. bei Anleihen, die vor dem 1. Januar 2013<br />
begeben und noch nicht mit einer Collective Action Clause ausgestaltet sind.<br />
Sollte dies der Fall sein, würde für die jeweiligen Anleihen nach wie vor eine<br />
Obergrenze von 25 Prozent gelten.<br />
GD Herbst 2015<br />
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