25.04.2023 Views

Kunstbulletin Mai 2023

Unsere Mai Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Katharina Grosse, Kunst und Klima, Alexandra Bachzetsis, Johanna Bruckner, uvm.

Unsere Mai Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Katharina Grosse, Kunst und Klima, Alexandra Bachzetsis, Johanna Bruckner, uvm.

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

Re-Orientations — Orientierung kommt auch von Orient<br />

‹Re-Orientations› im Kunsthaus Zürich fragt nach dem Transkulturellen<br />

in der Beziehung zwischen islamischer Kunst und der<br />

westlichen Moderne ab 1851. Die Schau vereint über 170 Objekte<br />

zu einem Dialog, der gängigen Diskursen über Aneignung und<br />

koloniale Macht ein Plädoyer für Austausch entgegenhält.<br />

Zürich — Es ist nicht so, dass die Kuratorin Sandra Gianfreda Problematisches im<br />

Verhältnis des Westens und dem sogenannten Orient in der Kulturgeschichte ignorieren<br />

würde. Doch die Schau ‹Re-Orientations› geht erhellend auf die wechselseitigen<br />

Beziehungen und Einflüsse zwischen Orient und Okzident ein. Im «Gespräch»<br />

zwischen historischen Objekten und Werken der Kunstgeschichte sowie zeitgenössischen<br />

Interventionen aus beiden Kulturbereichen wird ersichtlich, dass es keine<br />

klare Trennung zwischen westlicher und islamischer Kunst, zwischen Kunst und<br />

Kunsthandwerk geben kann. Vielmehr wird durch die Szenografie deutlich, dass sich<br />

das Transkulturelle in einem ewigen Hin und Her entlang von Handelsrouten, Debatten<br />

und gegenseitigen Missverständnissen entwickelt. Der Mut zur Abstraktion, die<br />

Hinwendung zum Ornament als Bedeutungsträger, die für die westliche Moderne so<br />

wichtig waren, finden ihre Initialzündung auch in Sammlungen orientalischer Objekte,<br />

der Einrichtung sogenannter «Türkenzimmer» in herrschaftlichen Häusern oder<br />

dem Studium der Alhambra.<br />

Es ist ein Verdienst dieser Schau, diese Zusammenhänge multiperspektivisch<br />

herauszuarbeiten und weniger bekannte Autor:innen ins Licht zu rücken. So sind<br />

die Bilder von Osman Hamdi Bey (1842–1910), Henriette Browne (1829–1901) und<br />

Elisabeth Jerichau-Baumann (1819–1881) wichtige Ergänzungen zum Kanon der<br />

«Orientmalerei», wie sie in unzähligen Museen des Westens zu finden ist. Ein Krug<br />

des 13. Jahrhunderts aus Kaschan (dem heutigen Iran), der 1910 in der Ausstellung<br />

‹Meisterwerke muhammedanischer Kunst› in München ausgestellt wurde, führt auf<br />

verschlungenen Pfaden zur Serie ‹color lines›, 1976, von Karl Gerstner (1930–2017).<br />

Dass die Probleme im Verhältnis zwischen dem islamischen Kulturraum und dem<br />

Westen noch lange nicht aufgearbeitet sind, hat Edward Saïd in seinem Buch ‹Orientalism›,<br />

1978, präzise analysiert. Das veranschaulicht das Werk ‹Ways to Escape<br />

one’s Former Country / Patterns & Traces› des Zürcher Künstlerduos Baltensperger +<br />

Siepert: ein Orientteppich, in den die Routen der Handelswege exotischer Waren eingestickt<br />

sind und die jenen entsprechen, auf denen Flüchtende aus Syrien, dem Irak<br />

oder Libyen versuchen, nach Europa zu gelangen. Der Dialog zwischen den Objekten,<br />

Mustern und Traditionen, den uns die Ausstellung vor Augen führt, harrt seiner Wiederaufnahme<br />

im politischen Feld der Migrationspolitik. Damian Christinger<br />

→ ‹Re-Orientations – Europa und die islamischen Künste, 1851 bis heute›, Kunsthaus Zürich, bis 16.7.<br />

↗ kunsthaus.ch<br />

98 <strong>Kunstbulletin</strong> 5/<strong>2023</strong>

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!