Alexandra Bachzetsis · Notebook: Mermaid Porn, 2022, Dialog mit Michel Auder, Emi Curty und Zeltia Robin, 3-Kanal-Videoprojektion, Ton, 22’, Courtesy Experimenter, Karma International, kurimanzutto, Meyer Riegger, Ausstellungsansicht Kunst Halle Sankt Gallen. Foto: E. Sommer 46 <strong>Kunstbulletin</strong> 5/<strong>2023</strong>
nur modeaffine Teenager können treffsicher zuordnen, ob ein Film in den sogenannten Nullerjahren, den 2010ern oder vor weniger als drei Jahren gedreht worden ist. Dieses modische Verfallsdatum ist für Bachzetsis’ Schaffen mit ihrer Nähe zu Ausdrucksformen der Popkultur nicht unerheblich. Ein solches Werk altert anders als eines, das seine Aussagen unabhängig von kurzlebigen Trends trifft. Das Altern ist eine grundsätzliche Herausforderung in der performativen Arbeit der Künstlerin. Vom Tanz zur Performance zur Permanenz Bachzetsis hat eine professionelle Tanzausbildung absolviert, der Körper ist eines ihrer Arbeitsinstrumente. Aber er verändert sich und passt dereinst vielleicht nicht mehr zu einem ursprünglich konzipierten Ausdruck. So hat sich die Künstlerin entschieden, das Stück ‹Perfect› von 2001 an jüngere Generationen weiterzugeben. Im Zentrum stehen der zur Schau gestellte Körper und pointierte Bewegungen im Kippmoment zwischen Fitness und Verführung. In der Kunst Halle Sankt Gallen ist nun eine knapp dreistündige Videoversion zu sehen. Fünf Personen, darunter Bachzetsis selbst, performen ‹Perfect› nacheinander. Alle fünf bringen ihren persönlichen Ausdruck ein, und trotzdem ist es eine homogene Arbeit. Dass dies gelingt, ist eine komplexe Aufgabe in Tanz und Performance allgemein: «Welche Choreografie soll übermittelt werden in welcher Form? Wie werden Instruktionen übermittelt?» Notationen oder Videoaufnahmen sind nur ungenügende Hilfsmittel: «Bei einer Wiederproduktion nach Videoaufnahmen fehlt die Intuition der Choreografin, die Autorschaft», so Bachzetsis, «Performance hat mit Intuition zu tun, mit Energie, Attitüde, dem Dialog mit dem Publikum und dem Dialog mit dem Körper. Sehr wichtig ist auch das Casting.» Wenn die Künstlerin ihre Arbeiten nun an jüngere Performer:innen weitergibt, geschieht das kollaborativ, denn auch durch Beteiligung bleibt das Werk lebendig. Zugleich beschäftigt sich Bachzetsis mit der Frage der Permanenz: Was bleibt, wenn die Aufführung vorüber ist, die Ausstellung aber andauert? In der Kunst Halle Sankt Gallen wurde die neue Performance im ersten Raum aufgeführt, die Bühnenvorhänge und Requisiten wie prall aufgepumpte LKW-Schläuche sind nun in die Ausstellung integriert. Für Bachzetsis stehen sie zwischen Objekt und Skulptur: «Ich sehe sie nicht als Relikte, ich sehe sie als Arbeiten. Ihr Charakter ist zwischen Installation, Objekt und Skulptur angesiedelt, jenseits der klassischen Definition.» Zudem laufen auf Screens Einspieler aktueller und älterer Stücke: «Ich arbeite fragmentarisch, gegen die klassische Narration. Die Arbeiten haben eine andere Timeline: Sie dürfen aus früheren Arbeiten kommen, aber auch eigenständig bleiben.» Damit verbinden sie sich im Sinne des titelgebenden Notizbuches zu einer Gesamtpräsentation, die fortwährende Denkprozesse anstösst, das Unvollendete, Skizzenhafte zulässt und dennoch retrospektiven Charakter trägt. Die Zitate stammen aus einem Gespräch mit der Künstlerin am 28.3.<strong>2023</strong>. Kristin Schmidt, Kunsthistorikerin, lebt in St. Gallen. post@kristinschmidt.de → ‹Alexandra Bachzetsis – Notebook›, Kunst Halle Sankt Gallen, bis 18.6. ↗ k9000.ch FOKUS // ALEXANDRA BACHZETSIS 47
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