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Kunstbulletin Mai 2023

Unsere Mai Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Katharina Grosse, Kunst und Klima, Alexandra Bachzetsis, Johanna Bruckner, uvm.

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Yuri Ancarani<br />

<strong>Mai</strong>land — Marmorsteinbruch, Hochsicherheitsgefängnis,<br />

Fussballstadion – so<br />

unterschiedlich Yuri Ancaranis Dokumentarfilme<br />

thematisch sind, so ähnlich sind deren<br />

Ausgangslagen und deren ästhetische Form.<br />

Jede Kameraeinstellung ist eine Fotografie<br />

höchster Präzision, was die Komposition, die<br />

Tiefenschärfe und die Farbgebung angeht. Die<br />

Kamera ist meist fix, die Einstellungen sind<br />

eher lang, die Schnitte langsam. Im fotografischen<br />

Bildausschnitt bewegt sich plötzlich<br />

und fast unmerklich ein Chirurgenmesser, eine<br />

schwarze Ziege, der Arm eines Baggers, das<br />

Magnetlesegerät eines Wärters. Yuri Ancarani<br />

(*1972) denkt die Zuschauenden mit, er lässt<br />

ihnen Zeit zur Betrachtung. Sie sollen eintauchen<br />

in den Fluss der fantastischen Realität,<br />

welche zugedeckt vor unseren Füssen liegt.<br />

Nun zeigt der Padiglione d’Arte Contemporanea<br />

in <strong>Mai</strong>land eine Übersicht über zwanzig Jahre<br />

von Ancaranis Dokumentarfilmproduktion. Mit<br />

einer aufwendigen Innenarchitektur ist das<br />

PAC in sechs Videosäle verwandelt worden, in<br />

denen die filmische Entwicklung des Videokünstlers<br />

aus Ravenna nachvollzogen werden<br />

kann. An der Fensterfront, welche zum Park<br />

weist, laufen auf acht Videoscreens die ‹Ricordi<br />

per moderni› (Erinnerungen für Moderne) – Videoschnipsel,<br />

aufgenommen an der «Riviera<br />

romagnola», die Industriezonen oder die Strände<br />

der Adria, Sümpfe oder Hauspartys zeigen.<br />

Daneben veranschaulichen drei Trilogien die<br />

gesellschaftliche Neugierde und die ästhetische<br />

Sorgfalt des Autors: Die erste Trilogie<br />

aus den Jahren 2010–2012, ‹La malattia del<br />

ferro› (Die Krankheit des Eisens), besteht aus:<br />

‹Il capo› – der Baustellenchef im Marmorsteinbruch<br />

von Carrara; ‹Da Vinci› – eine Tumoroperation<br />

mittels eines Roboters; und ‹Piattaforma<br />

Luna› – das Leben in einer Unterwasserdruckkammer.<br />

Die zweite Trilogie, ‹Le radici della<br />

violenza› (Die Wurzeln der Gewalt), setzt sich<br />

zusammen aus: ‹San Vittore› – Zeichnungen<br />

von Kindern von Gefangenen, ‹San Siro› – das<br />

Stadion von AC Milan und FC Inter; und ‹San Giorgio›<br />

– die Goldvorräte einer Basler Bank. Der<br />

neueste Film, ‹Il popolo delle donne› (Das Volk<br />

der Frauen), von <strong>2023</strong> ist die einzige Arbeit, die<br />

eine explizite Aussage macht: Die Psychoanalytikerin<br />

Marina Valcarenghi erörtert in einer<br />

Lectio Magistralis im Klostergang der <strong>Mai</strong>länder<br />

Universität, was Gewalt von Männern gegenüber<br />

Frauen motiviert. Yuri Ancarani legt die<br />

inneren Widersprüche und die überraschenden<br />

Schönheiten unserer Gesellschaft frei, durch<br />

einen Blick tief unter die Oberfläche. BF<br />

Yuri Ancarani · Ricordi per moderni, 2009<br />

Video-Still<br />

Yuri Ancarani · Il Capo, 2010, Video-Still<br />

→ PAC Milano, bis 11.6.<br />

↗ pacmilano.it<br />

70 <strong>Kunstbulletin</strong> 5/<strong>2023</strong>

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