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Kunstbulletin Mai 2023

Unsere Mai Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Katharina Grosse, Kunst und Klima, Alexandra Bachzetsis, Johanna Bruckner, uvm.

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Francisco Sierra — Die Birne in der Pfütze<br />

Absurdes, Witziges, Banales – Francisco Sierra scheut keine<br />

Grenzüberschreitungen. Mit grosser künstlerischer Finesse<br />

porträtiert er das Schräge ebenso wie das Komische. Die Kunsthalle<br />

Appenzell zeigt Gemälde, Zeichnungen und Objekte des<br />

Künstlers in einer Überblicksausstellung.<br />

Appenzell — Francisco Sierras Malerei ist meisterhaft und die mögliche Fallhöhe<br />

gross. Den Künstler reizt die Gratwanderung. In seinen grossformatigen Gemälden<br />

zelebriert er Oberflächen mit Lichtpunkten und Glanzeffekten. Sie sind bestechend<br />

in ihrer malerischen Perfektion, mit ihren dreidimensionalen Illusionsräumen und<br />

den virtuos gesetzten Details: funkelnde Preziosen, lebendig blickende Augen, mit<br />

Pinsel und Farbe inszenierte, raffinierte Unebenheiten. Aber was er da malt: Delfine,<br />

Monde, Vasen – Dinge, die aussehen, als seien sie aus Keramik gefertigt und glasiert.<br />

Motive, die schräg und schrecklich sind in ihrer Ästhetik, ihrem schlichten Anspruch,<br />

etwas Reales abzubilden. Tatsächlich töpfert Francisco Sierra selbst auf der Basis<br />

von Kugelschreiberzeichnungen. Er fotografiert die entstandenen Keramiken und<br />

überträgt sie in Öl auf die Leinwand. Ist das Deko? Ist das Kitsch? Es ist Malerei!<br />

Der 1977 in Santiago de Chile geborene und 1986 in die Schweiz emigrierte Künstler<br />

beherrscht sein Handwerk so gut, dass er sich an Grenzen heranwagen kann:<br />

Wann droht das Banale die Oberhand zu gewinnen? Wie lange behauptet sich das<br />

Medium Malerei gegen den Tand? Bei den grossen, figurativen Gemälden im Erdgeschoss<br />

der Kunsthalle Appenzell halten sich diese Pole in fragiler Balance die Waage.<br />

Bei den Mittelformaten im ersten Obergeschoss kippt sie zuweilen: Wenn kleine<br />

geschlechtslose Wesen ein Stangenbrot wie einen Drachen fliegen lassen oder jedes<br />

eine Kartoffel am Faden hält, dann hat das vor allem illustrativen, narrativen Charakter.<br />

Wenn ein schwarzes Quadrat à la Kasimir Malewitsch mit Jetpack davondüst,<br />

kommt noch ein Verweis auf die Kunstgeschichte hinzu, aber es vermag ebenso wie<br />

die Birne mit Penis in ihrer eigenen Pfütze bestenfalls kurz zu amüsieren. Hier überzeugen<br />

vor allem die Kugelschreiberzeichnungen. Sierras Humor kommt darin frisch<br />

und beiläufig daher, während die malerische Transformation dem Witz die Unmittelbarkeit<br />

nimmt.<br />

Im obersten Stockwerk der Kunsthalle zeigt der Künstler 44 Miniaturporträts von<br />

Guppys auf geschweiften Wandausbuchtungen. Die visuell attraktiven Tiere sind beliebte<br />

Zierfische und damit das ideale Sujet für Francisco Sierra: Sie fordern für hyperrealistische<br />

Abbilder das ganze Können des Künstlers, sie reizen zum Spiel zwischen<br />

Dekoration und Kunst und stehen zugleich für das komplexe Verhältnis von<br />

Natur und Künstlichkeit. Kristin Schmidt<br />

→ ‹Francisco Sierra – Corniche›, Kunsthalle Appenzell, bis 11.6.<br />

↗ kunsthalleappenzell.ch<br />

82 <strong>Kunstbulletin</strong> 5/<strong>2023</strong>

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