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Kunstbulletin Mai 2023

Unsere Mai Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Katharina Grosse, Kunst und Klima, Alexandra Bachzetsis, Johanna Bruckner, uvm.

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Flou<br />

Lausanne — 1999, Les Rencontres de la<br />

photographie d’Arles: Erstmals überhaupt fand<br />

eine Ausstellung zum Thema Unschärfe in der<br />

Fotografie statt, mit 180 unscharfen Fotos<br />

von Amateur:innen. Jahrzehntelang war das<br />

Medium Fotografie dem Diktat der Schärfe<br />

unterworfen gewesen. Laut dem Kurator der<br />

damaligen Arles-Ausstellung, Serge Tisseron,<br />

der auch Psychiater ist, erinnert uns die<br />

Unschärfe hingegen daran, dass die Welt<br />

zunehmend weniger klar und deutlich ist, als<br />

wir sie gerne sähen.<br />

<strong>2023</strong> in Lausanne: Die Kuratorin von Photo<br />

Elysée und Fotografiespezialistin Pauline Martin<br />

versucht, eine «fotografische Geschichte<br />

der Unschärfe» zu schreiben. Sprach man vor<br />

24 Jahren noch von «Unschärfen» (im Plural),<br />

ist heute die Rede von «Unschärfe», als ob es<br />

sich dabei um eine eigene Kategorie handeln<br />

würde. Die Unschärfe sei «ein wunderbarer<br />

Aufhänger, um die Konflikte und Spannungen<br />

zu beobachten, die sich bei der Suche nach<br />

einer Darstellungsweise abspielen», so Martin,<br />

wobei dies Darstellungen «je nach Epoche und<br />

Technik dem menschlichen Blick treu bleiben<br />

oder im Gegenteil idealisieren und verklären,<br />

wenn nicht gar entwirklichen oder sogar in die<br />

Nähe des Unsichtbaren gerückt werden sollen».<br />

In den zwölf Abschnitten der didaktischen<br />

und umfangreichen Ausstellung ‹Flou› mit<br />

400 Werken von 180 Künstler:innen sind die<br />

vielfältigen Verwendungen der Unschärfe und<br />

ihre verschiedenen Funktionen chronologisch<br />

von den Ursprüngen bis heute zu entdecken:<br />

Zunächst war da die Unschärfe des «Pictorialism»,<br />

eine Bewegung im England und Amerika<br />

der 1890er-Jahre, die von den Theorien Peter<br />

Henry Emersons inspiriert wurde, oder die<br />

«wissenschaftliche Unschärfe» in den ersten<br />

Röntgenaufnahmen mit Aussagekraft. Weitere<br />

Kapitel sind der «kommerziellen» oder der<br />

«experimentellen Unschärfe» der Avantgarde<br />

in den 1920er- und 1930er-Jahren, wie sie Man<br />

Ray oder Eugène Atget praktizierten, gewidmet.<br />

Besonders spannend zu verfolgen ist der<br />

fruchtbare Dialog zwischen der Fotografie und<br />

anderen künstlerischen Genres wie Malerei,<br />

Skulptur und Film. Mit den jüngsten Beispielen<br />

aus der zeitgenössischen Kunst wird deutlich,<br />

dass die Unschärfe seit den 1990ern zu einem<br />

gängigen Ausdrucksmittel geworden ist, das<br />

mit politischer Bedeutung aufgeladen werden<br />

kann. So nutzt Christian Boltanski die Unschärfe,<br />

um den Verlust des kollektiven Gedächtnisses<br />

zu veranschaulichen. IDL<br />

Florence Henri · Composition (personage et<br />

panier sur une plage, 1930–1935, Centre<br />

Pompidou, Mnam-Cci, Dist. RMN-Grand Palais.<br />

Reproduktion: Guy Carrard<br />

Murielle Michetti-Baumgartner · Visage<br />

numéro 4 de la série Opaque, 2005, Collections<br />

Photo Elysée<br />

→ Photo Elysée, bis 21.5.<br />

↗ elysee.ch<br />

HINWEISE // FREIBURG / LAUSANNE<br />

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