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Kunstbulletin Mai 2023

Unsere Mai Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Katharina Grosse, Kunst und Klima, Alexandra Bachzetsis, Johanna Bruckner, uvm.

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Poems of Change — Alles muss sich ändern<br />

Seit seiner Ankunft im Neubau am Bahnhof deckt das MCBA<br />

Lausanne die lokale Kunstszene mit der gastkuratierten Biennale<br />

‹Jardin d’Hiver› ab. Die zweite Ausgabe gestaltet Simon<br />

Würsten Marin mit einer Gruppe gleichaltriger Kunst- und Kulturschaffender<br />

als eine Art Manifest für fluide Körper.<br />

Lausanne — ‹Jardin d’hiver #2› ist zunächst eine Ode an die Musikerin, Dichterin und<br />

bekennende Lesbe Pauline Oliviero (1932–2016). Deren Wortklangkreation ‹Poem of<br />

Change›, 1990, die den Wandel als einzige Hoffnung feiert, lieferte nicht nur den Untertitel<br />

zur diesjährigen Biennale. Im Katalog schreibt die Kuratorin Marie DuPasquier<br />

über Olivieros Konzept des «Deep Listening», bei dem sogar interstellare Echos<br />

hörbar werden. Der Grafiker Ali-Eddine Abdelkhalek wiederum hat aus den Versen<br />

des ‹Poem› mit KI über hundert Illustrationen generiert, von denen eine das Ausstellungsplakat<br />

ziert – ein sich ins All schraubendes Flugobjekt? Weiter sind nach dem<br />

Kurator Simon Würsten Marin er und die mitwirkenden Kunstschaffenden etwa so alt<br />

wie das ‹Poem of Change› und zudem begeistert von Paul B. Preciado: Der bei Derrida<br />

und Butler ausgebildete Philosoph, dessen Geschlechtsoperation jüngst für Aufsehen<br />

sorgte, sieht im Hier und Jetzt ein «pharmakopornografisches Regime» am Werk,<br />

das Patriarchat, Kapitalismus und Kolonialismus fördert und dem durch lustvolle<br />

Appropriation stimulierender Techniken und Substanzen Widerstand zu leisten sei.<br />

Die ausgestellten Werke der Biennale sind medial teil so opulent, dass durchaus<br />

eine Strategie erkennbar wird, sich subversiv mit dem dinglichen Überangebot<br />

zu konfrontieren. Ein Beispiel ist die Werkgruppe von Cee Füllemann und Romy Colombe.<br />

K, die farbenfrohe Keramikpflanzen und Neonschmetterlinge mit einem mit<br />

dem Bunsenbrenner an die Wand geflammten Text kombiniert. Überzeugender sind<br />

trotzdem die minimalistischen Arbeiten. Alfredo Aceto vermittelt genuin die uns<br />

nicht selten einholende Empathie mit Maschinen, wenn er in einem Video mit Körper<br />

und Stimme ein Dampfschiff auf dem Genfersee imitiert und so durch die noch leeren<br />

Ausstellungsräume «tuckert». Auch das meditative schwarz-weisse Video-Diptychon<br />

des Kollektivs cCORPORATE stellt das Eingesperrtsein in einem schwarzen<br />

Frauenkörper eindringlich dar mit Bildern einer jungen Tänzerin, die sich schleichend<br />

durch ein verhangenes Gemach sowie durch eine formal harte, aber auch spektakuläre<br />

Männerarbeitswelt bewegt. Mit dem Wandschlitz von Shirin Yousefi, durch<br />

den – nach und nach immer störender – kalte Luft in die Biennale strömt, wird sogar<br />

leise gefragt, ob der nunmehr seit Jahrzehnten zunehmend von oben wie unten als<br />

Allheilmittel beschworene «frische Wind» nicht auch mit gewissen unserer Probleme<br />

zusammenhänge. Katharina Holderegger<br />

→ ‹Jardin d’Hiver #2 – Poems of Change›, Musée cantonal des Beaux-Arts, bis 21.5. ↗ mcba.ch<br />

86 <strong>Kunstbulletin</strong> 5/<strong>2023</strong>

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