25.04.2023 Views

Kunstbulletin Mai 2023

Unsere Mai Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Katharina Grosse, Kunst und Klima, Alexandra Bachzetsis, Johanna Bruckner, uvm.

Unsere Mai Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Katharina Grosse, Kunst und Klima, Alexandra Bachzetsis, Johanna Bruckner, uvm.

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

Rita Ackermann — Freche Mädchen und gestische Schichten<br />

Das MASI zeigt die bisher umfangreichste Retrospektive der ungarisch-amerikanischen<br />

Künstlerin Rita Ackermann. Dabei folgt<br />

man ihrem Weg von den frühen figurativen zu den aktuellen<br />

Malereien, in denen linienbasierte Figuren expressionistische<br />

Farbflächen durchdringen und die Wahrnehmung verwirren.<br />

Lugano — Provokativ schaut uns das halbnackte, schlanke Mädchen mit kurzen<br />

Haaren und kleinen Brüstchen direkt in die Augen. Stolz trägt sie ihre Delfin- und<br />

Schmetterlingtatoos zur Schau. In der Linken hält sie lässig eine Zigarette. Hinter<br />

ihr, in seichtem Gewässer, sieht man Girls, die baden, mit Delfinen reden, Kaugummiblasen<br />

zerplatzen lassen oder sich gegenseitig filmen. Das Bild ‹Where did we come<br />

from? Where are we going? Who are we?›, 1994, ist eine direkte Referenz an Gaugins<br />

gleichnamiges Werk, das, ebenfalls im Breitleinwandformat, den Lebenszyklus darstellt.<br />

Ackermann malte ihre eigene Version davon auf Jeansstoff, aus dem auch die<br />

Vorhänge in ihrem Budapester Kinderzimmer gefertigt waren. 1999 zog sie schliesslich<br />

aus der ungarischen Hauptstadt nach New York. Die Kunstakademie, wegen<br />

der sie übersiedelt war, liess sie bald hinter sich und stürzte sich in den Strudel der<br />

Kunst- und Musikszene des Big Apple.<br />

Die von der Künstlerin nun für das MASI konzipierte Ausstellung ‹Hidden› ist<br />

Ackermanns erste grosse Retrospektive. Sie ist zweigeteilt und baut auf den Gegenpolen<br />

der figürlichen Zeichnung und der informellen Malerei auf, die sich in Ackermanns<br />

Werk selbst vereinen. Die Mädchenfiguren in den frühen Werken erinnern mit<br />

ihrem sicheren Strich an die Harlekine in Picassos blauer Periode. Die Arbeiten der<br />

letzten Jahre vereinen in vielschichtigen Spielarten gestisch pastose Malerei und figürlichen<br />

Kohlestrich. Etwa die Serie ‹Mama›, 2018–2021: «Bad Girls», Panzer oder<br />

galoppierende Pferde der Native Americans tauchen aus den Schichtungen auf, um<br />

gleich wieder zu entschwinden. Die Figuren versinken in den Farbmassen, bleiben<br />

ambivalent in der Wahrnehmung, um unvermittelt wieder aufzuscheinen.<br />

In der jüngsten, grossformatigen Serie ‹War Drawings›, 2022, findet Krieg auch<br />

formal auf der Leinwand statt. Die gelbliche, freihändig karierte Grundierung zitiert<br />

amerikanische Notizblöcke – auf das Provisorische, Vergängliche verweisend. Die<br />

Fettstiftzeichnung in Schwarz, Weiss, Blau und Rot zeigt und versteckt gleichzeitig<br />

das Figurenarsenal: In einer anstrengenden Lesereise entdecken die Betrachtenden<br />

Panzer, Hunde, Pferde, amerikanische Ureinwohner, versteckt in einem fürchterlichen<br />

Strichgewirr, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Rita Ackermann assoziiert<br />

Kriegsgräuel in der Ukraine mit den Massakern an der indigenen Bevölkerung<br />

und schafft so ein eindringliches Manifest gegen den Krieg. Barbara Fässler<br />

→ ‹Rita Ackermann – Hidden›, MASI, LAC, bis 13.8. ↗ masilugano.ch<br />

88 <strong>Kunstbulletin</strong> 5/<strong>2023</strong>

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!