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Kunstbulletin Mai 2023

Unsere Mai Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Katharina Grosse, Kunst und Klima, Alexandra Bachzetsis, Johanna Bruckner, uvm.

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Bettina Carl<br />

Bern — Zuerst sind es starke Farben und Konturen,<br />

die man in Bettina Carls Zeichnungen<br />

wahrnimmt. Man glaubt, etwas zu erkennen,<br />

dann aber schwindet die Eindeutigkeit, und gerade<br />

deshalb entwickeln die Grossformate einen<br />

Sog; je länger man die Vielzahl von Details<br />

betrachtet, desto mehr taucht man ins Bildgeschehen<br />

ab. Carls Zeichnungen bestechen<br />

durch Kompositionen aus «tiefen» und «flachen»<br />

Bereichen, Radierungen, Verwischungen,<br />

scharfen Linien, Maserungen und mitunter<br />

auch Textfragmenten, die inhaltliche Zusammenhänge<br />

nicht einfach preisgeben, sondern in<br />

lustvollen Anspielungen auf mögliche Deutungen<br />

verweisen. In ihrer vierten Soloschau bei<br />

DuflonRacz zeigt Bettina Carl aktuelle Arbeiten<br />

aus zwei Werkgruppen: ‹Pullover des Höheren<br />

Wesens› und ‹Serie M. (Happy Knowledge)›. Beide<br />

kreisen um manipulative Bildinszenierungen<br />

von Machtsystemen. Auf der einen Seite ist es<br />

der ironische Bezug auf religiöse und suggestive<br />

Aufladung von so alltäglichen Dingen<br />

wie Kleidungstücken. In der ‹Serie M.› ist es<br />

die künstlerisch dekonstruierende Aneignung<br />

eines propagandistischen Diktatorenabbilds,<br />

dem Carl mit Fusstritten, Verwaschungen und<br />

Verdrehungen zu Leibe rückt. Und damit gerät<br />

auch die Erkenntnis ins Blickfeld, dass es den<br />

Betrachtenden überlassen ist, Bilder zu hinterfragen<br />

und zu de-/kontextualisieren. AHO<br />

Bettina Carl · Kniender, 2022, Kohle, Pastellkreide<br />

auf Papier, 150 x 122 cm © ProLitteris<br />

→ Galerie DuflonRacz, bis 27.5.<br />

↗ duflon-racz.ch<br />

Ilse Weber<br />

Chur — Für die Kunstgeschichte ist sie eine<br />

Wiederentdeckung, für viele Schweizer Kunstschaffende<br />

eine bekannte Referenzfigur. Ilse<br />

Weber (1908–1984) wurde in den 1970er-Jahren<br />

mit ihren Zeichnungen zur Vorreiterin einer<br />

jungen Schweizer Kunstszene mit Vertretern<br />

wie Hugo Suter, Roman Signer und Markus<br />

Raetz. Im Katalog wird dieser Resonanzraum<br />

durch ein Gespräch mit Silvia Bächli und Rolf<br />

Winnewisser spürbar.<br />

Seit Ilse Webers letzter Einzelausstellung, 1992<br />

im Kunsthaus Zürich, sind über dreissig Jahre<br />

vergangen. Nach den letztjährigen Retrospektiven<br />

von Webers Zeitgenossinnen Meret Oppenheim<br />

(1913–1985) in Bern und Louise Bourgeois<br />

(1911–2010) in Basel – die drei wurden 1999 im<br />

Aargauer Kunsthaus zusammen gezeigt –, wird<br />

nun ihr Schaffen im Bündner Kunstmuseum in<br />

einem repräsentativen Überblick gewürdigt. Die<br />

Schau setzt mit dem künstlerischen Durchbruch<br />

Ilse Webers ein, als sie sich um 1960 von<br />

ihrem konventionellen Frühwerk, das ihr als<br />

alleinerziehende Mutter das Leben finanzierte,<br />

abwendete und entschied, mit über fünfzig<br />

Jahren nur noch das zu malen, «was sie noch<br />

nie gesehen hat». Die Ausstellung zeigt Zeichnungen<br />

ab dieser Zäsur, in welcher sich Weber<br />

von Konventionen und Vorbildern löst, bis zu<br />

ihrem Tod 1984.<br />

Das Wasser, wie es in ‹Nachtcapriccio›, 1981,<br />

aus einer gelöcherten Muschel auf einen Kamm<br />

läuft, steht als fliessendes Element programmatisch<br />

für das Werk von Ilse Weber, das in<br />

der Balance zwischen figurativen Sujets und<br />

traumartigen Kompositionen steht. Oft ereignen<br />

sich in den Werken seltsame Dinge, und<br />

selbst wenn viele Motive identifizierbar sind,<br />

entziehen sich die Situationen einer klaren<br />

Deutung, wie zum Beispiel die Innenraumszenerie<br />

mit schwebendem Bücherstapel im Werk<br />

‹Im Loft›, 1978. Was passiert hier, was wir nicht<br />

sehen? Neugier und Unbehagen wechseln sich<br />

beim Betrachten der Werke ab. Ein Zustand des<br />

Halbwachen stellt sich ein. Es mag sich anfühlen<br />

wie ein Traum, bei dem man nicht weiss,<br />

ob er gut oder böse enden wird. Man schwankt<br />

64 <strong>Kunstbulletin</strong> 5/<strong>2023</strong>

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