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Kunstbulletin Mai 2023

Unsere Mai Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Katharina Grosse, Kunst und Klima, Alexandra Bachzetsis, Johanna Bruckner, uvm.

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Joanna Piotrowska<br />

Paris — Unweit der quirligen Place de Clichy<br />

nahe Pigalle lädt das auf Fotografie spezialisierte<br />

Le Bal zu qualitätvollen Entdeckungen.<br />

Direktorin Diane Dufour, die das Kunstzentrum<br />

2010 gemeinsam mit Raymond Depardon gegründet<br />

hat, löste hier bisher die nicht einfache<br />

Aufgabe der Distinktion von anderen Pariser<br />

Foto-Institutionen durch die Präsentation<br />

historischer oder im Kunstfeld relevanter statt<br />

aufstrebender Künstler:innen. Jetzt kommt die<br />

2013 am Londoner Royal College of the Arts<br />

diplomierte Joanna Piotrowska (*1985). Die<br />

Schwarz-Weiss-Fotografien der gebürtigen<br />

Warschauerin waren Publikumsentdeckung der<br />

letztjährigen Venedig-Biennale. Ihre Aufnahmen<br />

von sich zueinander biegenden, aneinanderschmiegenden<br />

Körpern haben zuvor bereits<br />

die Tate Britain, die Kunsthalle Basel oder das<br />

MoMA New York mit Erfolg eingeführt.<br />

Die Bildstimmung vertrauten Unbehagens entleiht<br />

die Künstlerin bei dem 2019 verstorbenen<br />

Psychotherapeuten Bert Hellinger. An dessen<br />

«Familienaufstellungen» interessiert Piotrowska<br />

das Theatrale, weil «eine aussergewöhnliche<br />

Körpersprache in einem Kontext zum Ausdruck<br />

kommt, der besonderes Augenmerk auf<br />

soziale und historische Bezüge legt», erklärt<br />

sie im Begleitkatalog der Kuratorin Magdalena<br />

Komornicka. Wo Hellinger verspricht, im<br />

Einzelnen Urgründe für Fehlfunktionen der<br />

Gruppe zu finden, stellt Piotrowska den Körper<br />

als intersubjektiven Operator einer Ästhetik der<br />

Gruppenbande vor.<br />

Am Eingang ihrer Schau ‹Entre nous› («beisammen»<br />

oder auch «intim», wörtlich «zwischen<br />

uns») im Le Bal lassen im Video ‹Animal<br />

Enrichment›, 2019, ursprünglich als 16mm-Film<br />

realisiert, zwei junge Frauen Bälle springen<br />

wie in einer Versuchsaufstellung. Danach läuft<br />

hinter farbigen Vorhängen das im gleichen Jahr<br />

erstellte sechsminütige Video ‹Little Sunshine›:<br />

witzig-beklemmende spielerische Situationen<br />

zwischen Familienmitgliedern. Das Untergeschoss<br />

empfängt wie eine enge Kleinzimmerwohnung.<br />

Beim Treppenabgang von oben<br />

gesehen, wirkt das wie ein Labor-Labyrinth.<br />

Das Publikum als Versuchstier? Jedenfalls sind<br />

die auf den Papierabzügen zu sehenden Posen<br />

trotz scheinbarer Unmittelbarkeit präzise<br />

inszeniert. Manchmal sieht man nur Arme und<br />

Büsten, keine Köpfe, denkt an kunsthistorische<br />

Gesten. Beim Zusehen wird spürbar, wie diese<br />

Fotografie funktioniert: Sie inszeniert ihre<br />

Bild-Subjekte als miteinander verstrickt – und<br />

erlaubt paradoxerweise genau dadurch eine<br />

Ablösung vom Bild. In der Ausstellungsbegegnung<br />

erscheint das Menschsein fragil, zuweilen<br />

lächerlich, pathetisch. Joanna Piotrowskas<br />

Vorstellung macht es als unstillbares Bedürfnis<br />

nach berührenden Gesten erfahrbar. JES<br />

Joanna Piotrowska · Ohne Titel, 2014–2018,<br />

Silbergelatineabzug, 120 x 94 cm, Courtesy<br />

Thomas Zander, Köln<br />

Joanna Piotrowska · Ohne Titel, 2017, Silbergelatineabzug,<br />

95 x 120 cm, Courtesy Thomas<br />

Zander, Köln<br />

→ Le Bal, bis 21.5. ↗ le-bal.fr<br />

HINWEISE // MENDRISIO / MÜNCHEN / PARIS<br />

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