POLIZEILICHE FREIHEITSENTZIEHUNG ... - RAV-Polizeirecht
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kapitel 2 | II.<br />
109<br />
Territorialitätsprinzip, folglich das deutsche Grundgesetz.<br />
Zudem sind weitere Aspekte des Völkerrechts zu berücksichtigen, an die auch<br />
deutsche Hoheitsträger gebunden sind. Über die bereits oben genannte Bindung bezüglich<br />
Art. 18 EGV hinaus ist Ausdruck der tiefergreifenden Bindung insbesondere<br />
in Bezug auf die Versammlungsfreiheit die Europäische Grundrechtscharta. In ihr<br />
kommt die gemeinsame Wertegemeinschaft innerhalb der EU zum Ausdruck. Hierzu<br />
zählt ebenfalls das Recht eines jeden, sich friedlich zu versammeln (Art. 12<br />
Grundrechtscharta).<br />
Zwar findet die Charta noch keine unmittelbare Anwendung und spezifischer<br />
Rechtsschutz ist in ihr noch nicht geregelt. Doch deren feierliche Proklamation am<br />
07.12.2000 in Nizza zeigt, dass sich die wichtigsten EU-Organe zu der Charta bekennen.<br />
Außerdem geht es hier nicht um eine direkte Anwendung der Charta, sondern<br />
nur um deren Relevanz bei der Präzisierung des Schutzbereiches von Art. 8 GG.<br />
Schon wird vielfach daran gearbeitet, die Europäische Grundrechtscharta als 4. Säule<br />
der EU zu interpretieren. Im Übrigen geht aus der Präambel der Charta hervor, dass<br />
sie Ausdruck der „gemeinsamen Verfassungstradition“ ist und sich aus den gemeinsamen<br />
internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten ergibt. Dort wo sie ohnehin<br />
nicht nur bestehende Rechte „bekräftigt“, formuliert sie jedenfalls klare<br />
Auslegungsregeln für europäische Grundrechte.<br />
In diesem Kontext muss auch Art. 11 EMRK gesehen werden. Das verbürgte<br />
Versammlungsrecht gilt für jeden, der sich im Herrschaftsbereich eines Mitgliedstaates<br />
der Konvention befindet. Über eine räumliche Beschränkung der Versammlungsfreiheit<br />
auf das Staatsgebiet des Herkunftsstaates ist nichts zu finden. Eine solche würde auch<br />
dem universellen und völkerrechtlichen Charakter der EMRK widersprechen. Auch<br />
sie ist Ausdruck einer europäischen Wertegemeinschaft, die unter den heutigen<br />
Bedingungen eine grenzüberschreitende Meinungsbildung beinhaltet und sich bei gemeinsamer<br />
Äußerung im europäischen Versammlungsgrundrecht ausdrückt.<br />
Die EMRK steht mindestens im Rang eines innerstaatlichen Gesetzes, dies ist allgemein<br />
anerkannt 32 . Indes werden auch hier die Stimmen lauter, die der wachsenden<br />
Bedeutung der EMRK auch im deutschen Recht zu entsprechen versuchen und der<br />
EMRK einen übergesetzlichen Rang geben 33 .<br />
Hierbei geht es um die Anpassung des Rechts an die realen Gegebenheiten.<br />
Problemen wird mehr und mehr auf europäischer Ebene begegnet. Auch eine kritische<br />
politische Auseinandersetzung erfolgt länderübergreifend. Würde das Grundgesetz<br />
bei diesen gesellschaftlichen Prozessen den Schutz seiner speziellen Grundrechtsverbürgungen<br />
verweigern, wäre eine einschneidende Grundrechtsverkürzung die<br />
Folge. Dies würde sich auf alle Fragen auswirken, die in europäischen oder internationalen<br />
Zusammenhängen gedacht werden müssen - eben global. Weder in Genua<br />
noch bei vergleichbaren Gelegenheiten ging es um rein nationale Angelegenheiten<br />
der Ausrichterstaaten der Gipfeltreffen. Vielmehr stand europäische und internationale<br />
Wirtschaftspolitik im Vordergrund, die für jedermann Auswirkung hat. Demnach<br />
muss es auch ein Jeder-Mensch-Recht sein, dazu eine gemeinsame Meinung zu äußern.<br />
Der Schutz kann nicht allein von Art. 2 Abs. 1 GG abhängen, der unter den<br />
Grundrechten am einfachsten beschnitten werden kann. Es läge ein Zwei-Stufen-<br />
Versammlungsrecht vor, welches mit der gesellschaftlichen europäischen Realität<br />
nichts mehr zu tun hätte.