POLIZEILICHE FREIHEITSENTZIEHUNG ... - RAV-Polizeirecht
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kapitel 2 | I.<br />
99<br />
Ausreiseverbote/Meldeauflagen/<br />
Gefährderanschreiben<br />
Seit kurzem beschäftigten neue Instrumente der polizeilichen Vorfeldkontrolle grenzüberschreitende<br />
Bürgerproteste: Ausreiseverbote nach dem Passgesetz, Meldeauflagen<br />
und sog. „Gefährderansprachen“.<br />
Diese polizeilichen Eingriffe gehören in den Kontext der Freiheitsentziehungen,<br />
weil auch sie zur Abschreckung und Kontrolle unliebsamer Bürgerproteste missbraucht<br />
werden können. Wie bei Platzverweisen und Aufenthaltsverboten wird der<br />
polizeiliche Eingriff in das Vorfeld verlagert und auf reine Verdachtsmomente statt<br />
auf Tatsachen und erfolgte Rechtsverletzungen gestützt. Wie polizeiliche Freiheitsentziehungen<br />
werden die polizeilichen Eingriffe in die Freizügigkeit und Demonstrationsfreiheit<br />
auf dieselben fragwürdigen Datenbestände gestützt und speisen<br />
umgekehrt die Polizeidateien zur „Szeneüberwachung“ (hierzu s. Kapitel 3.)<br />
Unkritisch werden hier wie da gewalttätige Ausschreitungen einzelner oder kleiner<br />
Gruppen in der Vergangenheit einer gesamten „Szene“ als „Generalverdacht“ und<br />
„potentielle Gewalttätigkeit“ jedes einzelnen vermeintlich „Szene“- Angehörigen zugerechnet.<br />
Mit der gegenwärtigen Praxis der Ausreiseverbote wird die Wahrnehmung der<br />
Grundrechte auf Versammlungsfreiheit und Meinungskundgebung sowie die Freizügigkeit<br />
der BürgerInnen der polizeilichen Vorfeldkontrolle unterworfen. Diese Polizeihoheit<br />
darüber, wer reisen und wer protestieren darf, verläuft gegenläufig zum Prozess der<br />
Europäischen Einigung und der Politikverlagerung von der nationalen auf die europäische<br />
Ebene. Rechtsschutz erweist sich bisher - jedenfalls im Eilverfahren - als ebenso<br />
uneffizient wie bei polizeilichen Freiheitsentziehungen. Nationale Verfassungsgarantien<br />
werden der europäischen Polizeitaktik geopfert.<br />
I. Bisherige Erfahrungen<br />
Nach den Ereignissen von Göteborg im Juni 2001 reagierten die europäischen<br />
InnenministerInnen schnell. Auf einer eiligst einberufenen Tagung verabredeten sie<br />
bereits im Juli 2001, dass die Mitgliedstaaten alle ihre rechtlich existierenden Möglichkeiten<br />
ausschöpfen sollten, um Personen, die „notorisch für Störungen der öffentlichen<br />
Ordnung bekannt sind“, an Einreisen in das Land, das den jeweiligen Gipfel ausrichtet,<br />
zu hindern.<br />
Die deutschen Behörden konnten sich dafür des Passgesetzes als Rechtsgrundlage<br />
bedienen, das als Folge der Auseinandersetzungen rechter Hooligans mit der Polizei<br />
bei der Fußballweltmeisterschaft 1998 in Frankreich erst 2000 entsprechend verschärft<br />
wurde. Auch vorher bestand bereits aufgrund des Passgesetzes die Möglichkeit, einzelnen<br />
Bürgern die Ausreise zu verweigern 1 . Seit der Änderung des Passgesetzes 1998<br />
sind nun Verstöße gegen das Verbot zur Ausreise unter Strafe gestellt. Zudem können<br />
Reisebeschränkungen in die Pässe von bekannten "Gewalttätern" eingetragen<br />
werden, sofern eine "erhebliche Gefährdung von Belangen der Bundesrepublik" vor-