POLIZEILICHE FREIHEITSENTZIEHUNG ... - RAV-Polizeirecht
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kapitel 1 | I.<br />
33<br />
Dagegen ist nach der h.M. das kurzfristige zwangsweise Vorführen nur eine Freiheitsbeschränkung,<br />
für die die Rechtsgarantien des Art. 104 GG nicht gelten sollen 121 .<br />
Diese Auffassung ist durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes<br />
überholt 122 . Jeder Ausschluss der Möglichkeit, den Aufenthaltsort zu verlassen, ist eine<br />
Freiheitsentziehung 123 .<br />
§ 19 NGefAG (ähnlich der Wortlaut der anderen Landesgesetze) umgeht diese<br />
Differenzierung, indem Richtervorbehalt und richterliche Überprüfung einheitlich<br />
für „Freiheitsbeschränkungen“ als Oberbegriff des Gewahrsams und des Festhaltens<br />
zur Durchführung der Identitätsfeststellung geregelt werden 124 .<br />
d) Versammlungsrecht - Art. 8 Abs. 1 GG<br />
Auf allgemeines <strong>Polizeirecht</strong> gestützte Maßnahmen dürfen nicht ganz oder überwiegend<br />
darauf abzielen, die Teilnahme an einer nicht verbotenen Demonstration zu<br />
verhindern oder zu erschweren. Das Versammlungsrecht als Bundesrecht geht dem<br />
Landespolizeirecht vor und regelt versammlungsrechtliche Eingriffsbefugnisse abschließend.<br />
Versammlungen sind polizeifest bis zur Auflösung.<br />
Danach sind Freiheitsbeschränkungen und -entziehungen bei Versammlungen nur<br />
zulässig, wenn vorher die Versammlung verboten und aufgelöst wurde oder der<br />
Adressat der Maßnahme von der Versammlung ausgeschlossen wurde (§§ 15, 11 und<br />
18 Abs. 3 VersG) 125 . Gegen Personen, die eine friedliche Versammlung stören, darf<br />
die Polizei dagegen zum Schutz der Versammlung vorgehen.<br />
Art. 8 Abs. 1 GG ist darüber hinaus als Wertentscheidung des Verfassungsgebers<br />
auch bei der Auslegung einfachen Rechtes zu beachten 126 - dies ist insbesondere bei<br />
der Verhältnismäßigkeitsprüfung und im umstrittenen Grenzbereich des Art. 8 GG<br />
(Sitzblockaden, Friedlichkeitsbegriff, unklare Vollziehbarkeit von Auflagen, Unfriedlichkeiten<br />
lediglich einzelner oder der Versammlung insgesamt etc.) nochmals zu beachten,<br />
auch wenn grundsätzlich die Eingriffsbefugnis der Polizei vorliegt. Friedliche<br />
Versammlungsteilnehmer müssen nach Auflösung der Versammlung die Gelegenheit<br />
haben, sich zu entfernen - „friedlich“ ist hier im Sinne des Art. 8 GG zu verstehen,<br />
so dass die „Unfriedlichkeit“ nicht schon aus Rechtsverstößen wie einfacher Verletzung<br />
des Versammlungsgesetzes oder gewaltfreier Verletzung anderer Rechtsvorschriften<br />
folgt. Die Einkesselung aller wegen Unfriedlichkeiten (in diesem Sinne) nur Einzelner<br />
oder einer Teilgruppe ist daher ein Verstoß gegen Art. 8 GG 127 .<br />
Der Begriff der „Friedlichkeit“ im Sinne des Grundrechtes aus Art. 8 Abs. 1 GG<br />
ist die Freiheit von Gewalt, während nach dem <strong>Polizeirecht</strong> jeder Verstoß gegen die<br />
Rechtsordnung - auch das falsche Parken - eine Gefahr und damit eine Eingriffsbefugnis<br />
begründet. Die weit höhere Schwelle des staatlichen Eingreifens im Bereich des<br />
Versammlungsrechts erst bei „Unfriedlichkeit“ wird durch die Polizei gerne durch die<br />
unzulässige Gleichsetzung mit dem Begriff „rechtswidriges Verhalten“ unterlaufen.