POLIZEILICHE FREIHEITSENTZIEHUNG ... - RAV-Polizeirecht
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einleitung<br />
9<br />
für Freilassungsentscheidungen aufzubringen, wenn sie die Berechtigung der Festnahmegründe<br />
nicht beurteilen können mangels Information und Aktenvorlage durch<br />
die Polizei. Statt couragiert rechtsstaatlich zu entscheiden, wird die Hinhaltetaktik der<br />
Polizei gedeckt, selbst wenn der Eilrichter offensichtlich nur unvollständig über die<br />
der Polizei vorliegenden Fakten informiert wird.<br />
Erstmals beim Castor-Transport im November 2002 setzten die Eilrichter der<br />
Polizei Fristen zur Vorführung der Festgehaltenen - diese wurden in keinem Fall eingehalten,<br />
die Betroffenen unter offener Missachtung des Richtervorbehaltes weiter<br />
festgehalten 12 . Diese Entwicklung halten wir für bedenklich.<br />
Politische Einflussnahme der Exekutivorgane, Verschiebung der Gewaltenteilung<br />
Eindeutig ist bei all diesen Anlässen die Tendenz der Polizei, die "frustrierende<br />
Erfolgsquote" bei den strafrechtlichen Haftanordnungen und strafrechtlichen Verurteilungen<br />
umzuwandeln in eine polizeiliche Ersatzbestrafung im Selbstvollzug und<br />
die Produktion der gewünschten "Gewalttaten" für die Medien:<br />
Zwischen dem 01.01.1995 und dem 01.04.1997 wurden bei Castor-Protesten im<br />
Wendland 1.404 Ermittlungsverfahren eingeleitet 13 , jedoch nur 109 Anklagen erhoben,<br />
davon sind nur 48 Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen und nur 19 Verurteilungen<br />
erfolgt 14 . Die schwersten Verurteilungen wegen Nötigung und Körperverletzungen<br />
betrafen ohnehin zwei Verfahren gegen Polizeibeamte. Auch seitdem sieht die Verurteilungsstatistik<br />
ähnlich aus: vielen - häufig willkürlich ohne hinreichenden Tatverdacht<br />
eingeleiteten - Ermittlungsverfahren stehen wenige Anklagen und fast keine Verurteilungen<br />
gegenüber. Abgesprochene und falsche Aussagen von Polizeibeamten sind nicht selten.<br />
Diese "Erfolgsbilanz" und die hohe Schwelle für die Anordnung von Untersuchungshaft<br />
- die bei Bürgerprotesten selten erreicht wird - führte zur Verlagerung von der strafrechtlichen<br />
Verfolgung zum massenhaften Präventivgewahrsam 15 .<br />
Zumeist liegt kein oder nur ein sehr vager oder geringfügiger Straftatverdacht vor,<br />
so dass Untersuchungshaft nicht zu rechtfertigen ist. Strafrechtliche Ermittlungsverfahren<br />
werden kurze Zeit später nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, dienen aber weiter der<br />
"Datenproduktion" für polizeiliche Vorfelddateien.<br />
Mit dem massenhaften Gewahrsam ohne rechtliche Grundlage produziert die<br />
Polizei in der Öffentlichkeit die Gewalt- und Aufruhrmeldungen, die sie benötigt, um<br />
die Großeinsätze gegen friedlich demonstrierende Bürger politisch zu rechtfertigen.<br />
Polizeiliche "Konfliktmanager" und Pressesprecher beherrschen seit 2001 auch die<br />
Berichterstattung vieler Medienvertreter vor Ort.<br />
Im folgenden werden wir im einzelnen darlegen, dass und warum diese Polizeipraxis<br />
gegen geltendes Recht verstößt und dass die Richter bisher der ihnen mit dem Richtervorbehalt<br />
in Art. 104 Abs. 2 GG und Art. 5 Abs. 3 MRK eingeräumten Wächterfunktion<br />
nicht ausreichend nachgekommen sind.<br />
Vor allem aber wollen wir die Kolleginnen und Kollegen ermutigen, diese polizeistaatlichen<br />
Praktiken verstärkt anzugreifen und das hierfür notwendige "Handwerkszeug"<br />
vermitteln.