ursprung, zwiespalt und einheit der seele - Gustav Hans Graber ...
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wissenschaftliche, künstlerische, ja religiöse Weltverbesserung, als<br />
vielmehr Selbst-Verwirklichung, weg vom Ich. Das ist gleichbedeutend<br />
mit: weg vom Außen, vom Kleben am Geltungsbedürfnis, an<br />
Ruhmsucht, Ehrgeiz, Macht- <strong>und</strong> Besitzhunger.<br />
Ein Kollege hat vor mehr als 30 Jahren in seinem Buch, das er »Der<br />
gehemmte Mensch« betitelt, mit kühner Einseitigkeit die drei großen<br />
Hemmungen <strong>und</strong> Beschränkungen des Lebens, die das Christentum<br />
gesetzt habe, gebrandmarkt: die Armut, die Keuschheit <strong>und</strong> den<br />
Gehorsam. Für ihn ist es so, als ob die Ichstrebungen nach Besitz, nach<br />
Triebbefriedigung, nach Macht <strong>und</strong> Beherrschung, Anfang <strong>und</strong> Ende<br />
aller menschlichen Zielstrebigkeiten, Güter <strong>und</strong> Glücksmöglichkeiten<br />
wären. Weil er nichts an<strong>der</strong>es kennt, gibt es für ihn auch nichts an<strong>der</strong>es.<br />
Menschen dieser Denkart - <strong>und</strong> diese Denkart ist es, die in Wahrheit<br />
gehemmt, beschränkt ist - haben den lebendigen Kontakt mit ihrem<br />
eigenen unbewußten Selbst <strong>und</strong> mit dem kosmisch-bewußten Selbst<br />
verloren.<br />
Sie haben ihren Strom des Lebens zufrieren lassen <strong>und</strong> betreiben auf<br />
dem Eis ihres Ichs wie auf Schlittschuhen akrobatische Künste. Der Ich-<br />
Mensch, <strong>der</strong> Reichtum, Triebbefriedigung <strong>und</strong> beherrschende Macht<br />
auf seiner Fahne flattern läßt, hat nicht die geringste -Ahnung von<br />
jenem unendlich kostbareren Reichtum, von jener Glückseligkeit, die<br />
alle nur trieb befriedigende Lust verblassen läßt. Er hat keine Ahnung<br />
von jenem, das leere <strong>und</strong> protzende Machtbewußtsein riesenhaft<br />
überragenden Kraftgefühl, welches alle drei erst aus <strong>der</strong> Abwendung<br />
von dem nach außen gerichteten, ichhaften Streben nach Besitz, Lust<br />
<strong>und</strong> Macht <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Hinwendung <strong>und</strong> Hingabe zum Innen, zum Selbst,<br />
zum tiefsten <strong>und</strong> eigensten unseres Wesens, erwachen läßt.<br />
Ein klärendes Wort noch zum Begriff »Gehorsam«: In Wahrheit ist es so,<br />
daß gerade <strong>der</strong> von den Ichstrebungen beherrschte Mensch fremden<br />
Autoritäten gehorcht, denn erstens ist er übermäßig dem Außen<br />
dienstbar - meist in <strong>der</strong> Art des bekannten Witzes vom Radfahrer: nach<br />
oben buckelnd <strong>und</strong> nach unten tretend - beides, wie zum Radfahren,<br />
so auch zum Dienst am Außen gehörend. Zweitens ist die Dienstbarkeit<br />
gegenüber dem Ich ebenfalls ein Gehorsam für fremde Befehlsgewalt,<br />
denn wir wissen, daß das Ich das Produkt o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schlag von<br />
Identifizierungen mit Fremdem ist. Wir sehen: <strong>der</strong> ichbedingte Gehorsam<br />
bedeutet Bindung <strong>und</strong> Unterwerfung. An<strong>der</strong>s ist es mit dem Gehorsam<br />
gegen das Selbst: Im Selbst - das zunächst in uns erweckt werden, d. h.<br />
mit dem Bewußtsein in Verbindung kommen muß - leben, heißt: aus<br />
dem Eigenen, dem Freien leben.