ursprung, zwiespalt und einheit der seele - Gustav Hans Graber ...
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krasseste Riß in <strong>der</strong> Seele damit geheilt. Mit dem Lustverbot aber wird<br />
die Ambivalenz gleichsam auf die Spitze getrieben. Dem beständigen<br />
Begehren nach Lust steht das beständige Verbot gegenüber. Damit<br />
wird auch das Erreichbare meist unerreichbar.<br />
Und wo trotzdem Lust genossen wird, da ist das Genießen nie mehr rein.<br />
Immer schleicht eine störende Macht, <strong>der</strong> Dämon des Verbotes, sich<br />
hinein, paart das Genießen mit Angst, Scham, Ekel <strong>und</strong> gestaltet es um<br />
zu seinem Gegenteil. Es ist nur die Kehrseite dieser Ambivalenz des<br />
Erlebens, wenn <strong>der</strong> Mensch Leid <strong>und</strong> Schmerz, die Gegenstücke zu<br />
Genuß <strong>und</strong> Lust, sucht, sie »genießt«, vor ihrer Flucht warnt <strong>und</strong> das<br />
"Kreuztragen«64 als Mittel zur Erlösung preist. Aber wir dürfen nicht<br />
unbeachtet lassen, daß vielleicht auch darin ein tieferer Sinn liegt: Lust<br />
bindet an dieses Dasein, macht es begehrenswert; Leid <strong>und</strong> Schmerz<br />
aber führen zur Abkehr, <strong>und</strong> sie entspricht <strong>der</strong> Urablehnung, dem Urhaß,<br />
soll also auf regressivem Wege direkt zur ersehnten »Erlösung« führen.<br />
Wir sahen, wie <strong>der</strong> Säugling noch unbehin<strong>der</strong>t seiner Lust frönt. Die<br />
Zerrissenheit, die, hervorgerufen durch das Lustverbot, das libidinös<strong>einheit</strong>liche<br />
Erleben stört, wird also größtenteils von den Eltern auf das<br />
Kind übertragen.<br />
Oft herrscht in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>stube eine beständige Unterdrückung. Und<br />
was muß nicht alles unterdrückt werden: Das Schreien, <strong>der</strong> Trotz, das<br />
Zappeln, das Kratzen, das Nacktseinwollen, das Spielen mit den<br />
Genitalen, die ganze Harn- <strong>und</strong> Analerotik, die Koprophilie usw. Oft setzt<br />
hier schon die erste Züchtigung ein, die es bewirken kann, daß eine<br />
bleibende Angst <strong>und</strong> Entfremdung das Kind ergreift. HUG-HELLMUTH<br />
sagt darüber65: »Zorn <strong>und</strong> Trotz (des Kindes) werden scheinbar<br />
unterdrückt, ohne daß sich die Eltern <strong>der</strong> Gefahr bewußt werden, <strong>der</strong><br />
sie die Charakterentwicklung des Kindes <strong>und</strong> das einstige Verhältnis des<br />
Kindes zu ihnen aussetzen. Mancher Vater, <strong>der</strong> sich rühmt, sein Kind<br />
hätte nur ein einziges Mal offenk<strong>und</strong>ig Trotz gezeigt <strong>und</strong> nach<br />
erhaltener Züchtigung nie wie<strong>der</strong> gewagt, sich gegen seinen Willen<br />
aufzulehnen, weiß nicht, daß er damals den Gr<strong>und</strong> legte zu dauern<strong>der</strong><br />
Entfremdung zwischen sich <strong>und</strong> dem Kinde.«<br />
Die Mutter des bereits erwähnten W. erzählte mir, <strong>der</strong> kleine Junge sei immer<br />
furchtbar erschrocken, wenn sein Vater nur laut gesprochen habe, wohl weil er ihn<br />
oft angeschrien habe. W. sei, sowie er des Vaters Stimme in <strong>der</strong> Nähe gehört habe,<br />
zusammengezuckt, <strong>und</strong> sein Gesichtchen habe sich krampfhaft verzerrt. Der Junge<br />
ist ein Stotterer geworden, <strong>und</strong> die Mutter wollte die Ursache <strong>der</strong> Symptombildung<br />
auf des Kindes Furcht vor des Vaters Strenge zurückführen. Sie tat es mit einigem<br />
Recht. Ein doppeltes Lustverbot, das vom Vater ausging, wurde Ursache zu starken<br />
Verdrängungen des Jungen, die dann ihrerseits Ursache zur Symptombildung<br />
wurden.