ursprung, zwiespalt und einheit der seele - Gustav Hans Graber ...
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Z. B.: Ein Mann liebt eine verheiratete Frau. Sie auch ihn. Er möchte ihre<br />
Scheidung <strong>und</strong> sie heiraten. Das wäre gut. Aber damit würde eine Familie<br />
zerstört, <strong>und</strong> die Kin<strong>der</strong> wären dabei die Leidtragenden. Das wäre böse. Der<br />
Mann gerät in einen bedrohlichen Ambivalenzkonflikt.<br />
Das bloße Begehren o<strong>der</strong> Wollen des Guten kann also auch das Böse sein. Wir<br />
betrachten uns als zwischen Gut <strong>und</strong> Böse stehend <strong>und</strong> heißen jenen<br />
Menschen gut, <strong>der</strong> nach dem allgemein anerkannten Guten strebt, während<br />
wir das Streben nach dem Bösen verdammen.<br />
Gut <strong>und</strong> Böse sind relative Begriffe. Je nach dem Standpunkt, den wir<br />
einnehmen, ist eine Tat gut o<strong>der</strong> böse. Verschiedene Zeiten <strong>und</strong> verschiedene<br />
Völker <strong>und</strong> Klassen urteilen oft entgegengesetzt. Denken wir an die Blutrache,<br />
die einst eine heilige Handlung war, in <strong>der</strong> heutigen Kulturwelt aber verpönt<br />
ist.<br />
Denken wir an den Krieg, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Kanzel gepredigt o<strong>der</strong> von Volksführern<br />
als heilig gepriesen wird <strong>und</strong> doch das Böse, das Ver<strong>der</strong>ben bringende<br />
schlechthin ist.<br />
Die heutige Welt scheint jeglichen ethischen Halt in <strong>der</strong> Anerkennung von<br />
objektiven Normen des Guten mehr <strong>und</strong> mehr zu verlieren <strong>und</strong> damit dem<br />
Chaos entgegenzusteuern, aus dem heraus eine Rettung immer fraglicher<br />
wird.<br />
Gibt es in einer Zeit, in <strong>der</strong> so viel Gewalt wie heute herrscht, noch Gewissen?<br />
C. G. CARUS, <strong>der</strong> romantische Arzt, <strong>der</strong> wohl <strong>der</strong> größte Psychologe seiner Zeit<br />
war, bezeichnete in seinem Buch »Psyche« (Jena 1926) den Geist als das<br />
allein in sich »Gewisse«, <strong>und</strong> er schloß daraus, daß man dieses Festeste im<br />
Geiste das «Gewissen« nenne. Es geht also beim Gewissen, das den<br />
Amibvalenzkonflikt reguliert, um das tiefere Wissen.<br />
Der Psychoanalyse hat man aber seit jeher vorgeworfen, sie sei unethisch,<br />
gewissenlos, weil sie die Abgründe des Triebhaften im Sexuellen <strong>und</strong><br />
Aggressiven im Menschen aufdecke. Sie mache den Menschen<br />
unverantwortlich <strong>und</strong> wecke den Primitivmensch in ihm. In Wahrheit ist es<br />
umgekehrt: Der Mensch wird ethischer, wenn er über sein Unbewußtes mehr<br />
Bescheid weiß, wenn er durch die Abgründe hinab auf den wahren Gr<strong>und</strong><br />
seines Wesens <strong>und</strong> damit zur Selbstverwirklichung im Wissen <strong>und</strong> in <strong>der</strong><br />
Weisheit gelangt.<br />
e) Ambivalenz von Liebe <strong>und</strong> Haß<br />
Liebe <strong>und</strong> Haß sind Erscheinungen des nach geburtlichen Lebens, wobei, wie<br />
wir feststellten, beide nach <strong>der</strong> Geburt zugleich das Gefühlsmäßige im<br />
Seelenleben erfüllen. Zunächst finden sie Ausdruck einerseits in <strong>der</strong> Abwehr<br />
gegen das nachgeburtliche vielseitig versagende Dasein (Urhaß) <strong>und</strong><br />
an<strong>der</strong>erseits Ausdruck im regressiven Versinken in lange Schlafperioden (Dual-<br />
Einheit).