ursprung, zwiespalt und einheit der seele - Gustav Hans Graber ...
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Ebenso kann <strong>der</strong> Neurotiker unter beson<strong>der</strong>en Umständen bei kleinsten<br />
Vergehen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Angst vor Strafe <strong>und</strong> Gefahr mit <strong>der</strong> Urangst des<br />
Totalverlustes <strong>der</strong> Existenz reagieren. Jede postnatale Gefahr <strong>und</strong><br />
Bedrohung kann im erhöhten Angstaffekt zur Existenzbedrohung <strong>und</strong><br />
Urangst des Existenzverlustes analog dem Erlebnis des Traumas <strong>der</strong><br />
Geburt werden.<br />
Es gibt hier etwas Gesetzmäßiges: Der Mensch steht in jedem<br />
Lebensalter <strong>und</strong> fortwährend in Lebensgefahr - »mitten im Leben sind<br />
wir vom Tod umfangen« (M. LUTHER) - heute mehr denn je. Eine Spur <strong>der</strong><br />
Urangst vom Geburtstrauma her spielt stets in unsere Ängste hinein,<br />
meist wenig bewußt <strong>und</strong> vom ges<strong>und</strong>en Menschen geringfügig erlebt.<br />
Das Geburtstrauma ist <strong>und</strong> bleibt ein allgemeinmenschliches Schicksal.<br />
Jedes Kind, das zur Welt kommt, erlebt die Geburt als Trauma, als<br />
Urstörung im gesamten Lebensablauf. Deshalb ist das Geburtstrauma<br />
apriori auch ein allgemeinmenschliches Problem je<strong>der</strong> postnatalen,<br />
menschlichen Existenz <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Erleiden o<strong>der</strong> Gestalten. Es ist ein<br />
Urphänomen, dessen vertieftes Studium unerläßlich zum Ausbau <strong>der</strong><br />
Lehre vom Menschen 1st.<br />
Mit <strong>der</strong> Anerkennung des Geburtstraumas <strong>und</strong> <strong>der</strong> pränatalen Phase<br />
des Seelenlebens wird die Tiefenpsychologie auf die Basis <strong>der</strong><br />
Anthropologie gestellt, wird erst eigentlich eine biologischgenetische<br />
Lehre vom Menschen möglich - in seinem vollständigen Lebensablauf -<br />
von dessen Ursprung, <strong>der</strong> Zeugung, über die Geburt bis zu seinem Tode.<br />
Aber vergessen wir nicht: Das Urtrauma unterliegt <strong>der</strong> Urverdrängung.<br />
Sie ist so tiefsitzend in <strong>der</strong> menschlichen Seele unbewußt wirksam, daß<br />
selbst zwei bis drei Generationen von Psychoanalytikern we<strong>der</strong> in ihrer<br />
Praxis noch in ihrer Forschung, noch in ihrer Selbsterkenntnis zu ihr<br />
vorzustoßen, sie zu verarbeiten o<strong>der</strong>. gar sie zu beheben versuchten. Es<br />
gab wohl einzelne, die seit RANKS Publikation <strong>und</strong> Achtung sich zaghaft<br />
bis an das Urtrauma heranwagten, aber dann doch stets nur in<br />
Andeutungen <strong>und</strong> mit Umgehung des verschmähten Begriffs:<br />
Geburtstrauma. Aber es muß sich jedem tiefenpsychologisch<br />
Denkenden mit seiner Kenntnis <strong>der</strong> Abläufe von Verdrängungen<br />
unausweichlich aufdrängen, daß es weit weniger das Tabu <strong>der</strong><br />
Kollegenschaft war, was das verdrängte Geburtstrauma in <strong>der</strong><br />
Verdrängung fixierte, als die innere Abwehr an das eigene Urerlebnis<br />
aller Schrecken. Hier jedoch rührt die Tiefenpsychologie ein zweites Mal<br />
<strong>und</strong> wahrscheinlich endgültig an den Schlaf <strong>der</strong> Welt; denn in<br />
Geschichte <strong>und</strong> Forschung <strong>der</strong> Wissenschaften <strong>und</strong> Religionen stoßen<br />
wir stets <strong>und</strong> überall auf ein großes Schweigen in Bezug auf dieses<br />
Gr<strong>und</strong>problem.