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Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner

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Schriftrolle <strong>und</strong> <strong>über</strong>gab sie seinen Schülern, weil er annahm, dass <strong>die</strong> Weissagungen<br />

vielleicht in späterer Zeit in Erfüllung gehen könnten. 125<br />

Es waren nicht <strong>die</strong> Unheilsankündigungen, sondern <strong>die</strong> großen Visionen von einer glücklichen<br />

Zeit, <strong>die</strong> nicht so Wirklichkeit wurden, wie es <strong>die</strong> Propheten sich gedacht hatten. Zum<br />

Beispiel Deuterojesaja: 126 Der Kern seiner Botschaft ist zwar Wirklichkeit geworden: Der<br />

persische König Kyros, von dem es keiner erwartet hatte, erlaubte den verschleppten<br />

Judäern in Babylonien <strong>die</strong> Rückkehr <strong>und</strong> den Wiederaufbau von Jerusalem. Die Zukunft<br />

beschreibt Deuterojesaja mit para<strong>die</strong>sischen Bildern; was aber auf <strong>die</strong> Heimkehrer wartete,<br />

war ein zerstörtes Land <strong>und</strong> widrige Umstände, <strong>die</strong> <strong>die</strong> anfängliche Begeisterung schnell<br />

dämpften.<br />

Schon im Exil machte man sich <strong>Gedanken</strong>: Was ist denn aus den großen Verheißungen<br />

<strong>Gott</strong>es geworden, etwa aus der Zusage, dass immer ein Nachkomme Davids auf dem Thron<br />

sitzen werde? 127 Zugegeben, das hat 400 Jahre gegolten – aber doch nicht "für immer".<br />

Alles, was <strong>die</strong> Prophezeiungen <strong>und</strong> Verheißungen an unerfülltem Rest hinterlassen haben,<br />

hat sich allmählich zu einer Hoffnung angereichert, ohne <strong>die</strong> Jesus nicht das geworden wäre,<br />

was er für uns heute ist. Ein Mensch von seiner Qualität würde heute in unserer westlichen<br />

<strong>Welt</strong> weder als Erlöser noch als Sohn <strong>Gott</strong>es verehrt. Für uns sind alle Hoffnungen auf eine<br />

Verbesserung der <strong>Welt</strong> auf Jesus konzentriert <strong>und</strong> damit aufgehoben. Als Christen sind wir<br />

immun gegen <strong>Welt</strong>verbesserer <strong>und</strong> Leute, <strong>die</strong> meinen, <strong>die</strong> <strong>Welt</strong> retten zu müssen, oder<br />

sollten immun dagegen sein. 128<br />

DIE THORA HAT EWIGEN BESTAND<br />

Nicht nur von der Verheißung, sondern auch von der Thora glaubte man, dass sie ewigen<br />

Bestand hat. Die Vorstellung ist also: <strong>Gott</strong> ändert nicht wie menschliche Gesetzgeber immer<br />

wieder <strong>die</strong> Vorschriften, sondern sein Gesetz, <strong>die</strong> Thora gilt für alle Zeiten. 129<br />

125 Jesaja 8,16-22<br />

126 der "zweite Jesaja" zur Zeit des babylonischen Exils. Seine Worte stehen auf der Jesajarolle<br />

(Kapitel 40-55). Der Name des Propheten ist nicht <strong>über</strong>liefert.<br />

127 1. Samuel 17<br />

128 Schon Jesus hat vor falschen Erlösern gewarnt! Matthäus 24,5.24.<br />

129 Sowohl bei "Daniel in der Löwengrube" (Daniel 6) als auch im Buch Esther spielt eine wesentliche<br />

Rolle, dass das "Gesetz der Meder <strong>und</strong> Perser" nicht aufgehoben werden kann. Für einen königlichen<br />

Erlass ist das eine sehr dumme Regelung, wie beide Geschichten zeigen. Ich vermute, dass mit <strong>die</strong>ser<br />

Redensart keine menschlichen Verordnungen gemeint waren, sondern <strong>die</strong> göttliche <strong>Welt</strong>ordnung, von<br />

den Persern wie von den Juden als "Gesetz" der <strong>Gott</strong>heit aufgefasst.<br />

Matthäus 5,17-19 wendet sich gegen <strong>die</strong> abweichende christliche Auffassung, dass Jesus <strong>die</strong> Thora<br />

aufgehoben habe. Die Bergpredigt will zeigen: Er hat sie nicht aufgehoben, sondern nur anders <strong>und</strong><br />

schärfer ausgelegt. Das Wort spiegelt wohl <strong>die</strong> Auseinandersetzungen um Paulus, der behauptet hat:<br />

»Christus ist des Gesetzes Ende.« (Römer 10,4).<br />

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