Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner
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nicht warum Freud <strong>und</strong> Leid so ungerecht verteilt sind. Den Weg ins Nirvana hat Buddha<br />
aufgezeigt, <strong>und</strong> alles andere ist nebensächlich.<br />
ISLAM<br />
Da Allah jedem Menschen das Schicksal vorschreibt, gibt es keine Rückfragen. Was Allah will,<br />
ist richtig <strong>und</strong> gut. Damit kann der Gläubige leben.<br />
DIE ANTWORT DER JÜDISCHEN GOTTLOSEN<br />
Die so genannten "<strong>Gott</strong>losen", mit denen sich <strong>die</strong> Beter der Psalmen auseinander setzen<br />
müssen, behaupten: "Es ist kein <strong>Gott</strong>" <strong>und</strong> folgern daraus, dass sie ungestraft tun <strong>und</strong> lassen<br />
können, was sie wollen. Wie man ihren Atheismus auch verstehen mag, sie bestreiten<br />
mindestens das Vergeltungsdogma: Es stimmt nicht, dass <strong>die</strong> Bösen bestraft werden. Die<br />
Praxis schien ihnen Recht zu geben.<br />
DIE ANTWORT DES GEKREUZIGTEN JESUS<br />
Die Hiob-Geschichte behandelt in Form eines Symposions 173 mit Rede <strong>und</strong> Gegenrede das<br />
Problem des leidenden Gerechten. Dass Hiob wirklich sündlos war <strong>und</strong> trotzdem alle <strong>die</strong>se<br />
Leiden durchmachen musste, ist weiter nichts als eine literarische Fiktion, um <strong>die</strong><br />
Schwierigkeit des Problems besonders deutlich zu machen.<br />
Jesus dagegen hat wirklich gelitten. Er wurde als Rebell gegen <strong>die</strong> römische<br />
Besatzungsmacht hingerichtet <strong>und</strong> hat nach allem, was wir von ihm wissen, <strong>die</strong>se Strafe<br />
nicht ver<strong>die</strong>nt. Er starb unschuldig. Das muss auch der anerkennen, der bezweifelt, dass<br />
Jesus <strong>über</strong>haupt ohne Sünde gewesen sei.<br />
Die herkömmliche Deutung des Todes Jesu als Sühnetod versucht, an dem<br />
Vergeltungsdogma festzuhalten: Weil <strong>Gott</strong> verpflichtet ist zu strafen, obwohl er <strong>die</strong><br />
Menschen liebt, sei er auf den Ausweg verfallen, alle Strafe seinem Sohn aufzuladen.<br />
Man kann den Tod Jesu aber auch so verstehen, dass durch sein unschuldiges Leiden <strong>und</strong><br />
Sterben das Vergeltungsdogma widerlegt wird. Es kann nicht stimmen, dass <strong>die</strong> Guten<br />
belohnt <strong>und</strong> <strong>die</strong> Bösen straft werden, sonst hätte <strong>die</strong> Jesus-Geschichte anders ausgehen<br />
müssen.<br />
Dann aber muss es eine andere Antwort auf <strong>die</strong> Frage nach Gut <strong>und</strong> Böse geben:<br />
MEINE ALTERNATIVE: GOTT VERGILT NICHT, SONDERN LÄSST FEHLER ZU.<br />
DAS VERGELTUNGSDOGMA IST FALSCH, WEIL NICHT JEDES EREIGNIS FOLGEN HAT.<br />
Das altertümliche Vergeltungsdogma lautete: Unheilvolles Tun wirkt weiter <strong>und</strong> muss<br />
dadurch unschädlich gemacht werden, dass es auf den Urheber zurückfällt. Auch heilvolles<br />
Tun hat Konsequenzen, <strong>die</strong> schließlich auf den Urheber wieder zurückfallen.<br />
Noch schärfer formuliert es <strong>die</strong> indische Lehre vom Karma: Jedes Tun löst einen<br />
Kausalzusammenhang aus, der schließlich den Urheber wieder trifft.<br />
173 wörtlich 'Gastmahl': in der Antike beliebte Art, ein Thema zu behandeln, indem von einer<br />
Diskussion zwischen Fre<strong>und</strong>en erzählt wird, <strong>die</strong> gegensätzliche Positionen vertreten<br />
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