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Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner

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DER TRANSZENDENTE GOTT OFFENBART SICH AUF VERSCHIEDENE WEISE.<br />

Wenn etwas in ausreichender Menge vorhanden ist, dann gibt es das <strong>über</strong>all: Überall auf der<br />

ganzen Erde gibt es Luft. Diese Gasmischung liegt in einer dicken Schicht r<strong>und</strong> um den<br />

Erdball <strong>und</strong> dringt in jede Lücke ein. Es ist schwer, ein Gefäß luftleer zu machen. – Überall<br />

auf der Erde gibt es auch Menschen; es gibt keine Stelle auf der Erdoberfläche, wo<br />

Menschen nicht sein können. Sie können sogar tauchen, fliegen <strong>und</strong> unter <strong>die</strong> Erde dringen.<br />

Und trotzdem: Es sind immer wieder andere Menschen, <strong>die</strong> wir an verschiedenen Orten<br />

treffen. Es ist auch immer wieder andere Luft, <strong>die</strong> ich heute hier <strong>und</strong> morgen da einatme.<br />

Luft <strong>und</strong> Menschen bestehen aus Materie. Ein einzelner Mensch, ein einziges Gasmolekül<br />

kann nicht gleichzeitig an verschiedenen Orten sein.<br />

Auch Abstraktes gibt es <strong>über</strong>all: Überall auf der <strong>Welt</strong> gibt es Schönheit. Sie offenbart sich in<br />

harmonischen Formen, Farben, Tönen <strong>und</strong> Gerüchen. Dafür haben nicht nur wir Menschen<br />

einen Sinn, sondern auch nicht menschliche Lebewesen. Katzen lieben Wohlgerüche <strong>und</strong><br />

Musik, obwohl sie selbst nicht in der Lage sind, <strong>die</strong>se Düfte zu produzieren oder Musik zu<br />

machen. Wir empfinden den Gesang der Nachtigall, <strong>die</strong> Gestalt einer Gazelle, den Duft der<br />

Rose, Form <strong>und</strong> Farben der Lilie, <strong>die</strong> Färbung des Buchfinks, des Pfauenauges oder eines<br />

Zierfisches als schön, obwohl <strong>die</strong>se Lebewesen nicht auf unser ästhetisches Urteil<br />

angewiesen sind. Wir finden Schönheit sogar in der unbelebten Natur, wenn wir etwa <strong>die</strong><br />

Farbe eines Edelsteins, <strong>die</strong> Ebenmäßigkeit eines Kristalls, das Farbenspiel des<br />

Sonnenuntergangs, <strong>die</strong> Majestät des Matterhorns, <strong>die</strong> unendliche Weite des Sternenhimmels<br />

bew<strong>und</strong>ern. All das weckt nicht nur subjektive Gefühle in uns <strong>und</strong> vielleicht auch in anderen<br />

Lebewesen, sondern Schönheit lässt sich nach objektiven Kriterien beschreiben. Wir können<br />

den Gesang der Amsel oder Nachtigall in unsrer Notenschrift wiedergeben, weil sie genau<br />

unsren musikalischen Gesetzmäßigkeiten entspricht. Wir können <strong>die</strong> Idealfigur eines Kristalls<br />

mit geometrischen Mitteln als regelmäßigen Körper beschreiben <strong>und</strong> berechnen. Wir ahnen<br />

hinter der wahrnehmbaren Schönheit ein Schönheitsideal, das auch da im Verborgenen<br />

vorhanden ist, wo wir um uns herum nichts Schönes erkennen.<br />

Wo finden wir <strong>die</strong>ses verborgene Schönheitsideal, das wir hinter den konkreten<br />

Erscheinungen erkennen? Doch wohl nur in einer geistigen Wirklichkeit, in der wir auch <strong>Gott</strong><br />

vermuten. Wie <strong>die</strong> Schönheit kann sich <strong>Gott</strong> an verschiedenen Orten in verschiedener Gestalt<br />

offenbaren.<br />

GOTT NIMMT IRDISCHE GESTALT AN<br />

Einem Wikingerhäuptling erschien er in Gestalt eines berittenen Kriegers. Jesaja sah ihn wie<br />

ein König auf einem Thron sitzen. Der Wettergott offenbarte sich mit Blitz <strong>und</strong> Donner im<br />

erlösenden Wolkenbruch. Zeus kam zu Leda als Schwan. Vishnu rettete <strong>die</strong> <strong>Welt</strong> in Gestalt<br />

verschiedener Tiere. Vishnu wurde Mensch in der Gestalt Krishnas, Jahwe in der Gestalt<br />

Jesu. Hesekiel beschreibt den fliegenden Thronwagen <strong>Gott</strong>es. Johannes sieht im Himmel das<br />

<strong>Gott</strong>eslamm <strong>und</strong> Jakob <strong>die</strong> Himmelsleiter. Den Hirten erschien ein Lichtwesen <strong>und</strong> den<br />

Weisen aus dem Morgenland ein Stern. Lot wurde mit seiner Familie von zwei<br />

menschengestaltigen Wesen gerettet, denen man nicht ansah, dass sie aus dem Himmel<br />

kamen.<br />

<strong>Gott</strong> offenbart sich in verschiedener Gestalt, so wie Schönheit in sehr verschiedener Weise<br />

zum Ausdruck kommt, <strong>und</strong> zwar unabhängig von Raum <strong>und</strong> Zeit.<br />

Die Menschen, denen <strong>die</strong> <strong>Gott</strong>heit erschien, nahmen das auf sehr verschiedene Weise wahr:<br />

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