Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner
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Die Urmenschen konnten nicht mehr wie <strong>die</strong> Affen von der Hand in den M<strong>und</strong> leben, sondern<br />
mussten lernen, wie ein Raubtier langfristig zu planen <strong>und</strong> Strapazen zu ertragen, um etwas<br />
zu essen zu bekommen.<br />
Die wichtigsten Merkmale des Menschen sind also: aufrechter Gang, Herstellung von<br />
Werkzeugen, soziale Kooperation, Sprache <strong>und</strong> <strong>die</strong> Fähigkeit zu arbeiten.<br />
Das alles forderte Intelligenz; mit wachsender Intelligenz wurde der Mensch unabhängig von<br />
angeborenen Verhaltensmustern (Instinkten) <strong>und</strong> dadurch fähig, <strong>die</strong> jeweils beste<br />
Handlungsweise selbst zu finden. Damit wurde er allerdings auch fähig, Fehler zu machen<br />
<strong>und</strong> daran zu Gr<strong>und</strong>e zu gehen. Daher wurde es notwendig, Erfahrungen weiterzugeben <strong>und</strong><br />
Normen zu setzen, damit der Mensch nicht immer wieder <strong>die</strong>selben Fehler macht <strong>und</strong> nicht<br />
bei jeder Handlung alle Gründe abwägen muss. An <strong>die</strong> Stelle des Instinkts traten also <strong>die</strong><br />
Gewohnheit <strong>und</strong> <strong>die</strong> soziale Kontrolle, <strong>die</strong> aber flexibel sind <strong>und</strong> eine Anpassung an<br />
ungewohnte Situationen ermöglichen.<br />
DIE GRUNDSÄTZLICHEN FRAGEN<br />
Ob das alles genau so gewesen ist, wie ich es eben dargestellt habe, dar<strong>über</strong> wird es<br />
verschiedene Meinungen geben. Vieles ist auch sicher nicht mehr der neuste Stand der<br />
Forschung. Und sogar <strong>die</strong> wirklich aktuellen Erkenntnisse werden in wenigen Jahren <strong>über</strong>holt<br />
sein. Ich habe meine eigene Meinung schon mehrfach revi<strong>die</strong>ren müssen, weil neue<br />
Erkenntnisse alles in einem anderen Licht erscheinen ließen.<br />
Daher halte ich es für müßig, <strong>über</strong> Einzelheiten zu diskutieren oder gar Vergleiche<br />
anzustellen zwischen heutiger Meinung <strong>und</strong> der Darstellung der Bibel. Für wichtiger halte ich<br />
ein paar gr<strong>und</strong>sätzliche Fragen, <strong>die</strong> ich jetzt darlegen möchte:<br />
KANN DIE NATURWISSENSCHAFT HEUTE WIEDER VON GOTT REDEN?<br />
Als zu Beginn der Neuzeit <strong>die</strong> moderne Naturwissenschaft begründet wurde, tat man das<br />
unter der Bedingung, dass man so arbeiten wolle, "als ob es <strong>Gott</strong> nicht gäbe", das heißt man<br />
wollte <strong>die</strong> <strong>Welt</strong> erklären, ohne mit einem Eingreifen <strong>Gott</strong>es zu rechnen, allein auf Gr<strong>und</strong><br />
voraussagbarer Naturgesetze. Damit ist <strong>die</strong> Wissenschaft bisher ganz gut zurechtgekommen.<br />
Aber irgendwo stößt sie auf ihre Grenzen. Eine solche Grenze ist zum Beispiel <strong>die</strong> Frage, wie<br />
<strong>die</strong> <strong>Welt</strong> entstanden ist <strong>und</strong> warum sie so geworden ist, wie wir sie vorfinden. Da wäre es<br />
nahe liegend zu sagen: Sie wurde von <strong>Gott</strong> erschaffen; <strong>Gott</strong> hat das alles so gewollt <strong>und</strong><br />
eingerichtet. Wer aber so argumentiert, der handelt gegen <strong>die</strong> ursprüngliche Absicht, <strong>die</strong><br />
<strong>Welt</strong> ohne <strong>Gott</strong> zu erklären.<br />
Das bedeutet aber nicht, dass ein Naturwissenschaftler zum Atheisten werden müsse.<br />
Naturwissenschaft ist eine Art, <strong>die</strong> <strong>Welt</strong> zu verstehen, Religion eine andere. Derselbe Mensch<br />
kann sich beide Sichtweisen aneignen, ohne <strong>Gott</strong> seine Berechnungen anstellen <strong>und</strong><br />
Versuche machen <strong>und</strong> trotzdem an den Schöpfer glauben. Er kann sogar gleichzeitig<br />
Versuche machen <strong>und</strong> darum beten, dass <strong>die</strong> Versuche gelingen, <strong>und</strong> sich seiner<br />
Verantwortung gegen<strong>über</strong> dem Schöpfer bewusst sein.<br />
ABSICHT ODER ZUFALL?<br />
Ein gläubiger Naturwissenschaftler wird geneigt sein, jenseits der Grenzen seiner<br />
Wissenschaft anzunehmen, dass <strong>Gott</strong> das <strong>Welt</strong>geschehen in Gang gesetzt hat <strong>und</strong> heute<br />
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