Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner
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BILDER<br />
Aus dem Spinnen <strong>und</strong> Weben hat man dann Bilder für das Schicksal entwickelt: Der<br />
Lebensfaden ist ein zusammenhängendes Ganzes, der aus einzelnen Fasern zusammen<br />
gedreht wurde. Für einen bestimmten Zweck misst man eine Länge ab <strong>und</strong> schneidet ab,<br />
was zu lang ist: ein Bild für <strong>die</strong> Länge des Lebens <strong>und</strong> den Tod. Noch deutlicher ist beim<br />
Gewebe <strong>die</strong> zusammenhängende Einheit. Man kann in den Stoff auch noch Muster oder<br />
sogar Bilder einfügen, also auf einem Tuch ein ganzes Menschenschicksal abbilden.<br />
Ein anderes Bild ist das Los, das blind <strong>und</strong> unparteiisch dem Einzelnen etwas zuteilt.<br />
Auch der mündliche oder schriftlich fixierte Schicksalsspruch (lateinisch fātum 'Spruch,<br />
Schicksal') ist ein Bild, abgeleitet vom Zauberspruch der Hexe oder vom Urteilsspruch des<br />
Richters.<br />
IDISEN UND WALKÜREN<br />
Bei den Germanen nannte man <strong>die</strong>se Göttinnen idisî, altnordisch disir, was einfach 'Damen'<br />
bedeutet. In einem der Merseburger Zaubersprüche ist es ihre Aufgabe, das feindliche Heer<br />
durch magische Fesseln aufzuhalten. Wie bei den Feen ist es auch bei den Idisî unklar, ob es<br />
sich um menschliche weise Frauen oder um Göttinnen handelt.<br />
Die Edda zählt zu den Disir nicht nur <strong>die</strong> Nornen (unten), sondern auch <strong>die</strong> Walküren, welche<br />
<strong>die</strong> todgeweihten Krieger 187 auswählen 188 <strong>und</strong> ins Totenreich bzw. nach Walhalla geleiten.<br />
MOIRAI, PARCAE, NORNEN<br />
Aus der griechischen Mythologie kennen wir <strong>die</strong> Moirai, ursprünglich <strong>die</strong> dem Menschen<br />
zukommenden unpersönlichen 'Anteile' an Glück <strong>und</strong> Unglück, später zu dritt personifiziert<br />
als Klōthô '<strong>die</strong> Spinnerin', weil sie den Lebensfaden spinnt, Lákhesis 'das Erlangen durch Los',<br />
welche <strong>die</strong> Schicksalslose zuteilt, <strong>und</strong> schließlich Átropos '<strong>die</strong> Unabwendbare', weil wir unser<br />
Schicksal nicht ändern können. Hesiodos teilt ihnen <strong>die</strong> Aufgaben zu, den Lebensfaden zu<br />
spinnen, abzumessen <strong>und</strong> abzuschneiden. Später identifizierte man sie mit Vergangenheit,<br />
Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft.<br />
Die Römer nannten <strong>die</strong> Schicksalsgöttinnen Parcae, ursprünglich <strong>die</strong> beiden Geburtsgöttinnen<br />
Nōna <strong>und</strong> Dĕcŭma '<strong>die</strong> Neunte" <strong>und</strong> <strong>die</strong> "Zehnte", nach dem Geburtsmonat. In Anlehnung an<br />
<strong>die</strong> griechische Dreizahl kam schließlich noch Morta '<strong>die</strong> Todesgöttin' dazu. – Noch in<br />
spätrömischer Zeit kam der Glauben an Fātae 'Feen' auf, <strong>die</strong> an <strong>die</strong> Stellen der Parzen traten.<br />
Auch <strong>die</strong> Nordleute schrieben das Schicksal drei Frauen, den Nornen, zu, mit Namen Urðr,<br />
Verðandi <strong>und</strong> Skuld 'Gewordenes, Werdendes, Soll '.<br />
187 althochdeutsch wal 'Niederlage'<br />
188 vergleiche erkoren<br />
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