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Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner

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Dass <strong>die</strong> <strong>Gott</strong>heit in der <strong>Welt</strong> enthalten ist <strong>und</strong> nicht außerhalb der <strong>Welt</strong> steht, glauben<br />

freilich auch Menschen, <strong>die</strong> <strong>über</strong> den primitiven Animismus hinausgewachsen sind:<br />

GOTT KANN AN SEINEN WERKEN ERKANNT WERDEN<br />

Nach Paulus 89 kann er an seinen Werken erkannt werden. Das bedeutet wohl im Sinne des<br />

Apostels, dass man von der Schöpfung auf den Schöpfer schließen kann. Die mittelalterlichen<br />

Theologen versuchten <strong>die</strong> Existenz <strong>Gott</strong>es unter anderem damit zu beweisen, dass man von<br />

allen Wirkungen, <strong>die</strong> in der <strong>Welt</strong> zu beobachten sind, auf eine erste Ursache schließen kann.<br />

Bedeutet das aber auch, dass man von Naturbeobachtungen auf das Wesen <strong>Gott</strong>es schließen<br />

kann? Die einen sehen in der Natur nur den ständigen Kampf ums Dasein – <strong>die</strong> anderen<br />

erkennen auch bei primitiven Lebewesen Selbstlosigkeit <strong>und</strong> so etwas wie Liebe. Die einen<br />

staunen <strong>über</strong> <strong>die</strong> Weisheit des Schöpfers, der alles so herrlich gemacht hat – <strong>die</strong> anderen<br />

sehen nur das Negative <strong>und</strong> können keinen Sinn erkennen. Nicht nur dass das "Buch der<br />

Natur" missverständlich ist, sondern es scheint an unsren Voreinstellungen zu liegen, was wir<br />

daraus herauslesen wollen <strong>und</strong> was nicht.<br />

Und doch sollte man annehmen, dass sich Schöpfer <strong>und</strong> Schöpfung gleichen wie Petschaft<br />

<strong>und</strong> Siegelabdruck: Wo beim Petschaft rechts <strong>und</strong> erhaben ist, ist beim Abdruck links <strong>und</strong><br />

vertieft. <strong>Gott</strong> <strong>und</strong> <strong>Welt</strong> sind nicht nur spiegelverkehrt, sondern was an der Schöpfung negativ<br />

erscheint, ist das Gegenstück zum Positiven bei <strong>Gott</strong>.<br />

Diese "Verkehrtheit" der <strong>Welt</strong> muss nicht <strong>die</strong> Folge des Sündenfalls sein, sondern lässt sich<br />

vielleicht besser durch das Bild von Petschaft <strong>und</strong> Siegel erklären. Beim "Sündenfall" sind wir<br />

in Erklärungsnot, wie das denn einem allwissenden <strong>und</strong> allmächtigen <strong>Gott</strong> passieren konnte.<br />

Beim "Siegel" versteht sich's von selbst, dass in der <strong>Welt</strong> alles anders ist als bei <strong>Gott</strong>.<br />

Ohne Bild: Geist <strong>und</strong> Materie sind gr<strong>und</strong>verschieden. Der vollkommene Geist <strong>Gott</strong>es kann in<br />

einer materiellen <strong>Welt</strong> eigentlich nicht angemessen Gestalt annehmen.<br />

WENIGSTENS DER MENSCH SOLL GOTTES EBENBILD SEIN<br />

Nach der biblischen Schöpfungsgeschichte 90 schuf <strong>Gott</strong> den Menschen "zu seinem Bilde".<br />

Wie das zu verstehen ist, verrät der Erzähler nicht. Aber <strong>die</strong> Thora begründet verschiedene<br />

Gebote mit <strong>die</strong>ser Stelle. Unsre Menschenwürde ist also in der <strong>Gott</strong>ebenbildlichkeit<br />

begründet.<br />

Vielleicht ist es ja auch schon eine Auslegung, wenn in Fortsetzung der<br />

Schöpfungsgeschichte 91 erzählt wird, dass <strong>Gott</strong> den ersten Menschen aus Lehm geformt <strong>und</strong><br />

ihm seinen eigenen Lebensodem eingehaucht hat. Das <strong>Gott</strong>ähnliche ist also nicht unsre<br />

körperliche Gestalt, sondern der Geist, der <strong>die</strong> tote Lehmfigur zum Leben erweckt <strong>und</strong> den<br />

<strong>Gott</strong> wieder zu sich nimmt, wenn wir sterben.<br />

Das Neue Testament führt <strong>die</strong>sen <strong>Gedanken</strong> in mehrere Richtungen fort:<br />

<br />

Paulus: Wir werden durch den heiligen Geist <strong>Gott</strong>es Kinder.<br />

89 Römer 1,20<br />

90 Gen1<br />

91 Genesis 2<br />

75

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