Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner
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gehört das Licht ganz an den Anfang. Die <strong>Welt</strong> wird gebaut wie ein Haus: zuerst der Rohbau<br />
(Himmel, Erde, Meer), dann der Innenausbau (Pflanzen, Sterne) <strong>und</strong> zuletzt <strong>die</strong> Bewohner<br />
(Tiere, Menschen).<br />
Zur Ordnung gehört auch eine hierarchische Struktur. Sonne <strong>und</strong> Mond bekommen <strong>die</strong><br />
Aufgabe, <strong>über</strong> Tag <strong>und</strong> Nacht zu regieren, der Mensch, <strong>über</strong> <strong>die</strong> anderen Lebewesen zu<br />
herrschen.<br />
Schließlich schafft <strong>Gott</strong> auch dadurch Ordnung, dass er am Ende jedes Schöpfungstages das<br />
bisher Geschaffene begutachtet <strong>und</strong> feststellt, dass es gut bzw. am Ende sogar sehr gut ist.<br />
Das heißt: <strong>Gott</strong> stellt nicht nur <strong>die</strong> einzelnen Teile der <strong>Welt</strong> her, sondern er erforscht sie,<br />
lernt sie kennen <strong>und</strong> verstehen <strong>und</strong> schafft somit eine geistige Ordnung.<br />
Im zweiten Kapitel <strong>über</strong>trägt er <strong>die</strong>se geistige Durchdringung dem Menschen, der den Tieren<br />
Namen gibt <strong>und</strong> damit ihr wahres Wesen enthüllt. Das wird besonders deutlich nach der<br />
Erschaffung der Frau, <strong>die</strong> der Mensch endlich als Seinesgleichen anerkennt <strong>und</strong> "Männin"<br />
nennt.<br />
FORTSETZUNG DER SCHÖPFUNG IN DER NATÜRLICHEN VERMEHRUNG<br />
Beide Schöpfungsgeschichten laufen darauf hinaus, dass <strong>Gott</strong> nur <strong>die</strong> ersten Exemplare<br />
erschafft, <strong>die</strong> sich dann selbst weiter vermehren, <strong>und</strong> zwar Pflanzen, Tiere <strong>und</strong> Menschen.<br />
Im ersten Bericht werden <strong>die</strong> Pflanzen <strong>und</strong> Tiere nicht erschaffen, sondern von der Erde<br />
hervorgebracht. Dass sie sich selbst weiter vermehren, ist bei den Pflanzen nur durch <strong>die</strong><br />
Erwähnung der Samen angedeutet. Den Tieren <strong>und</strong> den Menschen gibt aber <strong>Gott</strong><br />
ausdrücklich den Segen mit: "Seid fruchtbar <strong>und</strong> mehret euch."<br />
Im zweiten Bericht wird das Problem dargestellt, dass der Urmensch allein ist. <strong>Gott</strong> versucht<br />
ihm einen Partner zu erschaffen, den er ebenso wie den Menschen aus Erde formt. Es<br />
gelingt aber nicht, weil durch den Schöpfungsakt jedes Mal andere Lebewesen entstehen.<br />
<strong>Gott</strong> muss erst eine neue Methode finden, wie man weitere Lebewesen derselben Art<br />
bekommt: durch Vermehrung. Das geht beim ersten Mal nur durch den besonderen<br />
Kunstgriff der ungeschlechtlichen Vermehrung aus der "Rippe"; nachdem es erst einmal<br />
Mann <strong>und</strong> Frau gibt, ergibt sich das Weitere von selbst.<br />
DER SCHÖPFUNGSAKT IST ABGESCHLOSSEN UND KANN NICHT WIEDERHOLT<br />
WERDEN.<br />
Der erste Schöpfungsbericht endet mit der Sabbatruhe <strong>Gott</strong>es. Nach der Erschaffung des<br />
Menschen stellt <strong>Gott</strong> fest: Die Schöpfung ist sehr gut, also in sich geschlossen, fertig,<br />
perfekt. Dann kann sich der Schöpfer zur Ruhe setzen. Das ist doch wohl so gemeint, dass<br />
<strong>Gott</strong> nach dem sechsten Tag nichts mehr erschaffen, sondern sich anderen Tätigkeiten<br />
zugewandt hat.<br />
In der Para<strong>die</strong>sesgeschichte wird dasselbe ausgedrückt durch den vergeblichen Versuch,<br />
einen zweiten Menschen zu schaffen: Es war eigentlich nicht <strong>die</strong> Absicht, weitere Lebewesen<br />
herzustellen. Die Tiere wären nicht nötig gewesen, wenn <strong>Gott</strong> gleich gewusst hat, wie er<br />
weitere Menschen machen muss. Zugleich wird mit <strong>die</strong>sen vergeblichen Versuchen gezeigt:<br />
Schöpfung ist unwiederholbar.<br />
Tatsächlich scheint das Leben auf der Erde unter Bedingungen entstanden zu sein, <strong>die</strong> nur in<br />
einer ganz bestimmten Phase der Erdgeschichte gegeben waren (besondere Beschaffenheit<br />
der Atmosphäre, organische Moleküle im Wasser). Das Leben selbst hat <strong>die</strong>se Bedingungen<br />
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