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Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner

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konnten von denen in Anspruch genommen werden, <strong>die</strong> sich selbst keine Eintrittskarte in<br />

den Himmel leisten konnten. Die Kirche forderte mit dem Ablass allerdings dafür eine<br />

Gegenleistung (nicht unbedingt in Geld).<br />

Gegen den Ablass <strong>und</strong> das damit verb<strong>und</strong>enen religiösen Leistungsdenken hat sich Martin<br />

Luther gewandt <strong>und</strong> damit <strong>die</strong> Reformation ausgelöst. Seine Kritik: Nach der Bibel können<br />

wir <strong>die</strong> Eintrittskarte weder durch eigene Leistungen ver<strong>die</strong>nen noch dafür <strong>die</strong> Ver<strong>die</strong>nste der<br />

Heiligen in Anspruch nehmen, denn für den Himmel gibt's nur Freikarten, gratis, "allein aus<br />

Gnaden".<br />

DIE HEILIGEN ALS FÜRSPRECHER<br />

Da <strong>die</strong> Heiligen im Himmel sind, also näher bei <strong>Gott</strong>, werden sie auch als Fürsprecher <strong>und</strong><br />

Vermittler der Gebete angerufen: "Heilige Maria, ... bitt für uns!" Auch damit haben<br />

evangelische Christen Probleme. Der moderne Protestant glaubt, dass seine Gebete <strong>Gott</strong><br />

unmittelbar, ohne Vermittlung, erreichen. In der Liturgie dagegen wird Jesus als Vermittler<br />

eingeschaltet: "... durch Jesus Christus, unsern Herrn. Amen."<br />

DIE HEILIGEN ALS HIMMLISCHE SACHBEARBEITER<br />

Als unsre Vorfahren Christen wurden, mussten sie ihren bisherigen Göttern abschwören <strong>und</strong><br />

sich zur alleinigen Verehrung des einen christlichen <strong>Gott</strong>es verpflichten. Nach ihrem<br />

bisherigen Glauben waren <strong>die</strong> Götter wie irdische Minister für bestimmte Ressorts im<br />

<strong>Welt</strong>geschehen zuständig: Dem Ministerpräsidenten Jupiter unterstanden zum Beispiel <strong>die</strong><br />

Familienministerin Juno, der Wirtschafts- <strong>und</strong> Verkehrsminister Merkur, der<br />

Verteidigungsminister Mars, <strong>die</strong> Kultusministerin Minerva usw. Nachdem <strong>die</strong> bisherige<br />

Regierung wegen Unfähigkeit zurücktreten musste, hat der christliche <strong>Gott</strong> <strong>die</strong><br />

Regierungsgeschäfte <strong>über</strong>nommen. Ist es denkbar, dass er all das, wozu man bisher viele<br />

Götter brauchte, ganz alleine macht? Oder hat er nicht etwa <strong>die</strong> Ministerposten neu besetzt,<br />

<strong>und</strong> zwar mit bewährten Leuten, den christlichen Heiligen?<br />

So kam es, dass <strong>die</strong> Heiligen an <strong>die</strong> Stelle der alten Götter traten, wenn auch <strong>die</strong> Ressorts<br />

ganz neu geordnet wurden. So kam es, dass Petrus mit dem Himmelsschlüssel nicht nur zum<br />

himmlischen Pförtner wurde, sondern auch <strong>die</strong> Funktion des heidnischen Wettergottes<br />

<strong>über</strong>nahm; Maria erhielt <strong>die</strong> Würde der heidnischen Himmelskönigin <strong>und</strong> Muttergöttin;<br />

Hubertus löste <strong>die</strong> Jagdgöttin Diana ab <strong>und</strong> Christophorus den Merkur als Verkehrsminister<br />

usw.<br />

Man kann das als einen faulen Kompromiss mit dem heidnischen Glauben ansehen.<br />

Tatsächlich aber haben <strong>die</strong>se Vorstellungen ihre Wurzeln in der Bibel, wo an mehreren<br />

Stellen (Daniel, Jesus, Paulus, Offenbarung) der Hoffnung Ausdruck verliehen wird: "Die<br />

Heiligen werden einmal <strong>die</strong> <strong>Welt</strong> regieren". Auch wenn man sich das zunächst sehr real <strong>und</strong><br />

irdisch vorstellte. Auch wenn man unter den "Heiligen" ursprünglich lebendige <strong>und</strong> keine<br />

toten Gläubigen verstand.<br />

DIE HEILIGEN IM EVANGELISCHEN GLAUBEN<br />

Die Folgen der Reformation haben den evangelischen Himmel ziemlich leer geräumt. Aber<br />

wenn es richtig ist, dass Menschen nach ihrem Tod "in den Himmel kommen", dann muss es<br />

doch dort außer der Heiligen Dreifaltigkeit <strong>und</strong> den Engeln auch ehemalige Menschen geben.<br />

Warum sollen Maria <strong>und</strong> Petrus <strong>und</strong> Martin von Tour <strong>und</strong> Elisabeth von Thüringen <strong>und</strong> Martin<br />

Luther <strong>und</strong> Albert Schweitzer <strong>und</strong> Mutter Theresa nicht im Himmel sein?<br />

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