09.01.2014 Aufrufe

Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner

Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner

Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

IST GOTT EINE PERSON?<br />

An <strong>die</strong>ser Stelle muss ich auf eine wichtige Streitfrage eingehen, <strong>die</strong> seit H<strong>und</strong>erten von<br />

Jahren <strong>die</strong> Gemüter erhitzt: Viele Menschen stellen sich <strong>Gott</strong> vor als eine Art unsichtbaren<br />

Übermenschen. Für <strong>die</strong> Philosophen dagegen ist er ein abstraktes Prinzip. Den einen hat der<br />

personhafte <strong>Gott</strong> zu viel menschliche Züge, den anderen ist der philosophische <strong>Gott</strong> zu<br />

abstrakt, um ihn lieben oder anbeten zu können.<br />

WAS IST DENN ÜBERHAUPT EINE PERSON?<br />

OBJEKTIV<br />

RELIGIONSWISSENSCHAFTLICH: ETWAS, WAS WILLEN UND MACHT HAT<br />

Ich denke, hier kommt es darauf an, ob <strong>Gott</strong> einen eigenen Willen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Macht hat, ihn<br />

durchzusetzen, <strong>und</strong> ob er fähig ist, mit uns zu kommunizieren. Ich kann mir keinen Schöpfer<br />

vorstellen, dem Willen <strong>und</strong> Macht fehlt. Auch beim Schicksal neige ich dazu, an einen weisen<br />

Plan zu glauben, der alles zum Guten führt, wenn ich mich darauf einlasse. Und wenn ich<br />

erfahre, dass meine Gebete erhört werden, neige ich ebenfalls dazu, mir ein<br />

menschenartiges Wesen vorzustellen, das mein Gebet hört <strong>und</strong> entsprechend reagiert.<br />

Schöpfung, Schicksal <strong>und</strong> Gebetserhörung, das kann ich mir aber auch ganz anders<br />

vorstellen, etwa so, dass unsrer <strong>Welt</strong> ein Programm zugr<strong>und</strong>e liegt, das nicht nur <strong>die</strong> Abläufe<br />

der Natur <strong>und</strong> der Evolution allgemein, sondern auch meinen eigenen Werdegang regelt.<br />

Letzterer scheint ja wenigstens zum Teil in meinen Genen festgeschrieben zu sein. Dieses<br />

Programm ist aber nicht starr festgelegt wie das Programm einer Waschmaschine, sondern<br />

es ist intelligent <strong>und</strong> flexibel, das heißt es lässt offen, wie <strong>die</strong> Entwicklung weitergeht, <strong>und</strong> ist<br />

fähig zu reagieren. Und es ist schließlich so stabil, dass der Ablauf durch Fehler <strong>und</strong><br />

Zwischenfälle nicht gestört wird, sondern es führt seine ursprüngliche Absicht durch. Das<br />

sind freilich Fähigkeiten, <strong>die</strong> wir auch von einem tüchtigen Mitmenschen erwarten – aber<br />

auch von einem besseren Computer. Der kann zwar nicht alles, aber er muss <strong>die</strong>se<br />

Fähigkeiten in seinem begrenzten Aufgabenbereich bewähren.<br />

Was ich ahnen kann, ist dass unsrer <strong>Welt</strong> so ein Programm zugr<strong>und</strong>e liegt. Aber ich habe auf<br />

<strong>die</strong>se Weise nicht <strong>Gott</strong> erkannt oder erklärt, sondern nur das Programm, das möglicherweise<br />

von <strong>Gott</strong> "geschrieben" wurde. <strong>Gott</strong> ist nicht identisch mit seinem Programm <strong>und</strong> bleibt auch<br />

in <strong>die</strong>ser Beziehung unfassbar.<br />

JURISTISCH: ETWAS, WAS RECHTE UND PFLICHTEN HAT<br />

Im juristischen Sinn ist eine Person Träger von Rechten <strong>und</strong> Pflichten. In Frage kommen<br />

"natürliche Personen", d.h. Menschen, <strong>und</strong> "juristische Personen", d.h. Organisationen oder<br />

Einrichtungen wie Stiftungen, <strong>die</strong> im Sinne des Stifters verwaltet werden. Mit dem Tod<br />

erlöschen <strong>die</strong> Rechte <strong>und</strong> Pflichten. Eine Leiche ist daher keine "Person" mehr, sondern eine<br />

"Sache" <strong>und</strong> hat z.B. kein Recht mehr auf Eigentum, braucht aber auch keine Steuern mehr<br />

zu zahlen.<br />

Früher war <strong>Gott</strong> so etwas wie eine juristische Person. Das Recht schützte seine Ehre <strong>und</strong><br />

stellte <strong>Gott</strong>eslästerung unter Strafe. Oder es verpflichtete <strong>die</strong> Menschen, nur an den<br />

biblischen <strong>Gott</strong> zu glauben. So wie staatliche Instanzen "im Namen des Volkes"<br />

rechtsverbindliche Verfügungen treffen dürfen, so konnten kirchliche <strong>und</strong> staatliche<br />

Repräsentanten rechtsverbindliche Anordnungen "im Namen <strong>Gott</strong>es" erlassen.<br />

174

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!