Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner
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GEGENARGUMENTE<br />
SIND UNSRE DEFINITIONEN RICHTIG?<br />
Die Philosophen, <strong>die</strong> <strong>Gott</strong> zu beweisen versuchten, haben früh erkannt, dass ohne eine<br />
genaue Definition <strong>Gott</strong>es ein Beweis für seine Existenz nicht möglich ist. Streng genommen<br />
beweist aber zum Beispiel Anselm nicht, dass es <strong>Gott</strong> gibt, sondern er versucht nur<br />
wahrscheinlich zu machen, dass es ein vollkommenes Wesen geben muss, ebenso Thomas,<br />
der wahrscheinlich macht, dass es einen Schöpfer geben muss. Aber wer sagt denn, ob<br />
unsre Definitionen richtig sind? Wer sagt denn, dass <strong>Gott</strong> vollkommen ist? Wer sagt, dass es<br />
nur einen <strong>Gott</strong> geben kann, der alles erschaffen hat? Einige gnostische Sekten grenzten den<br />
bösen Schöpfergott des AT gegen den guten Erlösergott des NT ab.<br />
UNBEWEISBARE GRUNDANNAHMEN (AXIOME)<br />
Mathematik, Logik, Philosophie <strong>und</strong> Naturwissenschaft gehen von Gr<strong>und</strong>annahmen<br />
(Axiomen) aus, <strong>die</strong> unmittelbar einleuchten <strong>und</strong> nicht bewiesen werden können, zum Beispiel<br />
dem Satz vom Widerspruch: "Eine Aussage kann nicht zugleich richtig <strong>und</strong> falsch sein." Jeder<br />
Beweis beruft sich auf Argumente, <strong>die</strong> entweder selbst bewiesen werden müssen oder solche<br />
Axiome sind.<br />
Wenn wir also <strong>Gott</strong> beweisen wollten, müssten wir auch hier auf Axiome zurückgreifen. Dann<br />
wären aber <strong>die</strong> Axiome, nicht <strong>Gott</strong> das Letzte oder Absolute, <strong>und</strong> das widerspricht unsren<br />
Vorstellungen von <strong>Gott</strong>. Wenn es also <strong>Gott</strong> gibt, ist er selbst ein Axiom <strong>und</strong> damit<br />
unbeweisbar.<br />
EIN BEGRIFF MUSS NICHT DER WIRKLICHKEIT ENTSPRECHEN<br />
Die mittelalterlichen Philosophen gingen davon aus, dass alles, was wir uns denken können,<br />
auch seine Entsprechung in der Wirklichkeit haben muss. Das war wohl eine falsch<br />
verstandene Folgerung, ein Umkehrschluss von Platons Ideenlehre. Danach hätten alle<br />
Gegenstände der Wirklichkeit ihre Urbilder in der <strong>Welt</strong> der Ideen. Das muss aber doch nicht<br />
bedeuten, dass jede menschliche Idee eine Entsprechung in der Wirklichkeit hat.<br />
Um uns klarzumachen, was das bedeutet, brauchen wir gar nicht Fabeltiere wie "Drachen"<br />
zu bemühen, <strong>die</strong> rein von der menschlichen Phantasie ausgesponnen sind. Es gibt ja auch<br />
Beispiele aus der Naturwissenschaft, wo man Naturphänomene mit falschen Vorstellungen<br />
erklären wollte, zum Beispiel dass Geist aus "Äther", einer "feinstofflichen Substanz"<br />
bestünde oder ein "horror vacui", <strong>die</strong> Angst vor der Leere (<strong>und</strong> nicht etwa der Luftdruck)<br />
verhindere, dass ein luftleerer Raum entsteht.<br />
Der mittelalterliche Denker Anselm konnte nicht ahnen, dass heute viele Menschen ganz gut<br />
ohne <strong>Gott</strong> zurechtkommen. <strong>Gott</strong> ist nicht denknotwendig.<br />
MAN KANN VIELES AUCH ANDERS ERKLÄREN<br />
Vieles, was man früher meinte <strong>Gott</strong> zuschreiben zu müssen, wird heute auch ganz anders<br />
erklärt. Darwin brauchte keinen <strong>Gott</strong> um zu erklären, warum <strong>die</strong> Lebewesen funktionsfähig<br />
<strong>und</strong> an ihre Umgebung angepasst sind: das war nicht <strong>die</strong> planende Vorausschau der<br />
Schöpfers, sondern der Kampf ums Überleben. Wer nicht fit genug ist, muss vorzeitig<br />
sterben. Erst recht ist <strong>Gott</strong> nicht denknotwendig als Garant für <strong>die</strong> Moral. Denn viele<br />
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