09.01.2014 Aufrufe

Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner

Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner

Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

"Wer <strong>Gott</strong> sieht, muss sterben." Der Erzähler kann sich nicht genug tun, dass Mose <strong>die</strong><br />

Begegnung mit <strong>Gott</strong> <strong>über</strong>lebt hat. Jakob w<strong>und</strong>ert sich nach dem gefährlichen Zweikampf am<br />

Jabbok: "Ich habe <strong>Gott</strong> von Angesicht gesehen, <strong>und</strong> doch wurde mein Leben gerettet." 100 –<br />

Vernichtend ist <strong>die</strong> <strong>Gott</strong>heit nicht nur in der Bibel. Wir erinnern uns an <strong>die</strong> "panische" Angst<br />

der Griechen, ihrem Waldgott Pan zu begegnen. "Spanner", welche <strong>die</strong> Jagdgöttin Artemis<br />

beim Baden beobachten wollten, büßten mit dem Tod.<br />

Diese Gefährlichkeit der <strong>Gott</strong>heit ist keine Grausamkeit, kein böser Wille, sondern liegt in<br />

ihrem Wesen: Der Mensch hält <strong>die</strong> Heiligkeit <strong>Gott</strong>es nicht aus. Wir haben das in unsrem<br />

einseitigen Bild vom immer "lieben <strong>Gott</strong>" leider vergessen.<br />

HEILIG = HEIL BRINGEND<br />

Unser deutsches Wort heilig drückt das Gegenteil aus: Die Begegnung mit <strong>Gott</strong> ist Heil<br />

bringend. Jakob hat zwar bei dem Zweikampf mit dem nächtlichen Dämon einen<br />

Körperschaden davongetragen, aber er ist durch <strong>die</strong>se Krise ein neuer Mensch geworden.<br />

Aus dem gerissenen Schlitzohr Jakob ist der Patriarch <strong>und</strong> '<strong>Gott</strong>eskämpfer' Israel geworden.<br />

Wir bringen Heil mit der seelischen <strong>und</strong> körperlichen Ges<strong>und</strong>heit in Verbindung <strong>und</strong> sagen<br />

etwa, dass eine W<strong>und</strong>e heilt, <strong>und</strong> hoffen, dass ein Kranker geheilt wird. Das Adjektiv heil<br />

entspricht im Norddeutschen dem süddeutschen ganz. Was heil ist, ist also nicht kaputt,<br />

sondern unversehrt. Wenn im Volkslied <strong>die</strong> "ganze Vogelschar" "lauter Heil <strong>und</strong> Segen"<br />

wünscht, dann erkennen wir darin noch <strong>die</strong> alte, umfassende Bedeutung des Wortes: Erfolg,<br />

gutes Gelingen, Ges<strong>und</strong>heit, Reichtum, Macht, Ehre, Friede..., kurz: "alles Gute". Wenn der<br />

mittelalterliche Mensch um sein Seelenheil bemüht war, dann suchte er nicht seelische<br />

Ges<strong>und</strong>heit, sondern Heil auf einer anderen Ebene. Damit nähert sich das deutsche Heil dem<br />

hebräischen šālôm, das gewöhnlich mit 'Friede' <strong>über</strong>setzt wird, aber eigentlich <strong>die</strong><br />

umfassende Bedeutung des deutschen Heil hat.<br />

MENSCHEN, DIE KONTAKT MIT DEM HEILIGEN HABEN, WERDEN ZU HEILIGEN.<br />

Der Gr<strong>und</strong>gedanke ist zunächst: So wie man durch Berührung mit Unreinem selber unrein<br />

wird, so kann man auch durch Kontakt mit dem Heiligen heilig werden. Schon bei Mose<br />

fordert <strong>Gott</strong>: "Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig."<br />

DIE HEILIGEN IN DER MITTELALTERLICHEN KIRCHE<br />

Wir denken dabei an <strong>die</strong> christlichen Heiligen: zunächst Menschen, <strong>die</strong> als Märtyrer lieber ihr<br />

Leben als ihre Überzeugung aufgaben, später auch besonders vorbildliche Christen. Heilig<br />

kann man erst werden, wenn man tot ist; viele später heilig gesprochene Christen wurden<br />

aber schon zu Lebzeiten als Heilige verehrt.<br />

DIE VERDIENSTE DER HEILIGEN<br />

Nach mittelalterlicher Auffassung hatten <strong>die</strong> Heiligen mehr Gutes als Böses getan <strong>und</strong> sich<br />

damit zunächst als "Selige" einen Platz im Himmel ver<strong>die</strong>nt. Durch ihre vielen "guten Werke"<br />

hatten sie aber mehr "Ver<strong>die</strong>nste" angehäuft, als zum Erwerb der eigenen Seligkeit<br />

notwendig war. Die übrig gebliebenen Ver<strong>die</strong>nste wurden von der Kirche verwaltet <strong>und</strong><br />

100 Genesis 32,31<br />

82

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!