Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner
Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner
Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>und</strong> galt in Delphoi als Orakelgeber. Der ursprüngliche Windgott Wodan (vgl. altindisch vāta-<br />
'Wind'), galt nicht nur als Ursprung von "Wut", Begeisterung <strong>und</strong> Inspiration, sondern wurde<br />
als <strong>Gott</strong> der Totengeister zum Herrn des Schlachtfelds <strong>und</strong> zum Kriegsgott.<br />
LETZTE AUTORITÄT<br />
PERSONIFIKATION DER ORDNUNG<br />
Die <strong>Gott</strong>heit ist in allen Religionen auch Hüterin der gesellschaftlichen Ordnung, sei es dass<br />
sie als oberste Gesetzgeberin <strong>und</strong> Richterin gilt, sei es dass sie <strong>die</strong> staatliche Ordnung (z. B.<br />
das Königtum) begründet <strong>und</strong> bestätigt, sei es dass sie speziell <strong>die</strong>se Gesellschaft oder ein<br />
Individuum beschützt.<br />
INNERE STIMME<br />
Wohl erst in späterer Zeit erscheint eine göttliche Macht auch als Garant der persönlichen<br />
Integrität. Sokrates war wohl der erste, der von einer "göttlichen" inneren Stimme<br />
(daimónion) sprach, <strong>die</strong> ihn immer gemahnt <strong>und</strong> gewarnt habe. Das Hören auf <strong>die</strong>se innere<br />
Stimme garantiert <strong>die</strong> persönliche Freiheit: "Man muss <strong>Gott</strong> mehr gehorchen als den<br />
Menschen" ist nicht erst eine christliche, sondern bereits eine heidnisch-griechische<br />
Erkenntnis.<br />
ÜBER-ICH<br />
Siegm<strong>und</strong> Freud, der Begründer der Psychoanalyse, hat ein dreiteiliges Seelenmodell<br />
entworfen, in welchem neben dem bewussten "Ich" <strong>die</strong> triebhafte Natur des "Es" <strong>und</strong> das<br />
kontrollierende "Über-Ich" steht. Diese Instanz soll sich durch Verinnerlichung äußerer<br />
Autoritäten (z.B. der Eltern) <strong>und</strong> Werte gebildet haben. Freud betont beim Über-Ich –<br />
entsprechend der damaligen Erfahrungen – zu sehr <strong>die</strong> richtende <strong>und</strong> strafende Funktion.<br />
Wie <strong>die</strong> Polizei aber heute weniger ein lästiger Aufpasser als vielmehr beschützender "Fre<strong>und</strong><br />
<strong>und</strong> Helfer" sein will, so können wir unsre innere Instanz auch positiv erfahren, bildlich<br />
ausgedrückt: als Schutzengel. Hier sind wir also deutlich von unsren jeweiligen Erfahrungen<br />
mit den Eltern <strong>und</strong> anderen Autoritäten geprägt. Heutige Kinder empfinden ihre Eltern<br />
weniger als autoritäre Verbieter <strong>und</strong> Bestrafer als vielmehr als Beschützer <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e.<br />
GOTT ALS PRÄDIKAT (SUBJEKTIVE WERTUNG)<br />
Martin Luther entwickelt im Großen Katechismus neben <strong>die</strong>ser "objektiven" Bedeutung von<br />
<strong>Gott</strong> eine subjektive: "Worauf du nu (sag ich) dein Herz hängest <strong>und</strong> verlässest, das ist<br />
eigentlich dein <strong>Gott</strong>." <strong>Gott</strong> ist hier keine objektive Gegebenheit, sondern das Objekt meines<br />
Glaubens. Ich kann das Geld, den Krieg oder eine menschliche Autorität (subjektiv) zu<br />
meinem <strong>Gott</strong> machen <strong>und</strong> liefere mich ihm damit aus. Wahre Freiheit finde ich aber durch<br />
<strong>die</strong> Bindung an den "objektiven", wahren <strong>Gott</strong>.<br />
In <strong>die</strong>ser Definition nähert sich Luther dem Philosophen Ludwig Feuerbach (1804-1872), der<br />
freilich <strong>die</strong> objektive Realität <strong>Gott</strong>es leugnet <strong>und</strong> für den <strong>Gott</strong> eine Projektion unsrer Wünsche<br />
ist. Man muss aber beides zusammensehen, wie es Luther getan hat: Weil <strong>Gott</strong> eine<br />
objektive Wirklichkeit ist, brauchen wir subjektiv nichts anderem göttliche Verehrung zu<br />
erweisen.<br />
25