Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner
Gedanken über Gott und die Welt - Heinrich Tischner
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Man kann sich dar<strong>über</strong> streiten <strong>und</strong> hat es im Mittelalter auch getan, ob Ideen nur geistige<br />
Vorstellungen von der Wirklichkeit sind, oder ob <strong>die</strong> Realität ihre Existenz den Ideen<br />
verdankt, ob wir uns also <strong>die</strong> Ideen nur denken oder ob <strong>die</strong> Ideen <strong>die</strong> Wirklichkeit erst<br />
geschaffen oder wenigstens geformt haben. Tatsächlich erfahren wir ja beides: Wir machen<br />
uns eine Vorstellung von der Wirklichkeit, bilden uns eine <strong>Welt</strong>anschauung, in der wir unsre<br />
Erfahrungen zusammenfassen. Unsre Vorstellung oder <strong>Welt</strong>anschauung kann nicht das<br />
Ursprüngliche sein, sondern ursprünglich ist, was wir anschauen <strong>und</strong> uns vorstellen. –<br />
Andererseits prägen unsre Vorstellungen aber auch <strong>die</strong> Wirklichkeit <strong>und</strong> können von daher<br />
auch das Ursprüngliche sein: Ein Plan existiert zunächst nur im Kopf, nimmt aber sichtbare<br />
Gestalt an, indem wir den Plan verwirklichen. Wer an den Frieden glaubt, wird sich<br />
bemühen, in Frieden zu leben. Die <strong>Welt</strong> ist also komplizierter, als <strong>die</strong> alten Philosophen<br />
glauben wollten.<br />
Von daher steht <strong>die</strong> neuplatonische Behauptung heute nicht mehr zur Diskussion, in den<br />
Wesen der sichtbaren <strong>Welt</strong> habe sich der absolute Geist in mehr oder weniger unvollkommen<br />
verwirklicht. Es lässt sich aber trotzdem eine Stufenleiter von toter Materie bis zum absoluten<br />
Geist = <strong>Gott</strong> erkennen, <strong>die</strong> im technischen Bereich eine Entsprechung hat:<br />
(Meta-)Physik 4<br />
Technik<br />
Geist absoluter Geist <strong>Gott</strong><br />
körperloser Geist<br />
zum Beispiel Engel<br />
freies denkendes Bewusstsein Mensch Computer<br />
Seele gesteuertes Verhalten Tier Automat (Waschmaschine)<br />
Leben Stoffwechsel, Wahrnehmung Pflanze Maschine (Kreissäge)<br />
Wachstum <strong>und</strong> Vermehrung<br />
Kristall<br />
tote<br />
gestaltete Materie Wassertropfen Werkzeug (Hammer)<br />
Materie<br />
ungestaltete Materie<br />
Wolke<br />
Die Übergänge erscheinen auf den ersten Blick nicht fließend, sondern sprunghaft. Man muss<br />
aber genauer differenzieren. So gibt es ja große Unterschiede zum Beispiel zwischen den<br />
geistigen Fähigkeiten einer Amöbe <strong>und</strong> eines Schimpansen. Der Entwicklungssprung erfolgt<br />
auch nicht vom Tier zum Menschen, sondern von der Wahrnehmung zum Bewusstsein, vom<br />
Trieb zum Willen, vom Gedächtnis zum Wissen, vom Denken zum Verstand, von der<br />
Erkenntnis zur Intelligenz.<br />
ZUGANG ÜBER DIE INFORMATIONSTHEORIE<br />
Wir finden den Zugang zum Verständnis von Geist heute nicht <strong>über</strong> <strong>die</strong> Psychologie, sondern<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> Informationstheorie. Ich behaupte: Geist besteht nicht aus Atomen, sondern aus<br />
4 Philosophie, <strong>die</strong> sich nicht mit der Natur (physis), sondern mit tiefer gehenden Fragen beschäftigt.<br />
Der Name kommt daher, dass in den Bibliotheken <strong>die</strong> Bücher des Aristoteles <strong>über</strong> <strong>die</strong> Seele, den freien<br />
Willen <strong>und</strong> andere 'hinter denen <strong>über</strong> <strong>die</strong> Natur' (metà tà physiká) standen.<br />
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