Häring, Matthias - Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen
Häring, Matthias - Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen
Häring, Matthias - Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Theoretischer Hintergrund<br />
etablierten, wobei die ersten beiden Vereine von ihren Mitgliedern um die<br />
Jahrhundertwende den vollständigen Alkoholverzicht verlangten. Durch „das<br />
sektenhafte Gepräge dieser Sonderwelten, die bizarr wirkende<br />
Abstinenzverpflichtung" stießen diese Organisationen jedoch bei der breiten<br />
Bevölkerungsmehrheit auf Ablehnung. (Spode 2012, S. 155-157)<br />
Die Folgen für die Behandlung von Suchtkranken aus dieser Entwicklung<br />
heraus beschreibt Spode so:<br />
„Am Ende des langen 19. Jahrhunderts waren in Deutschland die Fundamente<br />
einer Behandlungskette gelegt, wie sie im Prinzip noch heute besteht. Eine<br />
Grundvoraussetzung war die Pathologisierung des Trinkers gewesen. Ist die<br />
Krankenrolle generell zwiespältig, so gilt dies in besonderem Maße für die Rolle<br />
des Trunksüchtigen. Sie entlastet und sie entmündigt: Der Alkoholkranke hat<br />
seine abweichende Persönlichkeit einzugestehen, und den Experten Folge zu<br />
leisten" (Spode 2012, S. 160)<br />
Nach Reker existierten bereits im späten 19. Jahrhundert nachweislich<br />
erste stationäre Einrichtungen für suchtbelastete Menschen ohne tragfähige<br />
Lebensperspektive und soziale Unterstützung. Die Behandlung dieser Klientel<br />
erfolgte in, für diese Zeit üblichen, paternalistisch geführten totalen<br />
Institutionen, die meist in kirchlicher Trägerschaft waren. Mit Beginn des 2.<br />
Weltkrieges veränderte sich die Versorgungslage grundlegend, als viele solcher<br />
Einrichtungen geschlossen und die Betroffenen im Zuge der<br />
nationalsozialistischen Eugenik in Arbeitslagern untergebracht bzw. ermordet<br />
wurden.<br />
In der Nachkriegszeit orientierten sich in Westdeutschland<br />
Suchthilfebemühungen zunehmend am sogenannten Abstinenzparadigma.<br />
Ausgehend von der Annahme, dass nur am Tiefpunkt angelangte und zur<br />
Einsicht gekommene Suchtkranke zu dauerhaften Verhaltensänderungen fähig<br />
seien, trat die selektive Versorgung von abstinenzmotivierten Klienten in den<br />
Vordergrund. Eine idealtypische Hilfekette aus Beratung, stationärer<br />
Entwöhnung und Selbsthilfegruppenteilnahme sollte zu dauerhafter Abstinenz<br />
befähigen, welche als notwendige Grundlage eines gelingenden Lebensstils<br />
postuliert wurde. Durch diese einseitige Ausrichtung der professionellen