gwf Wasser/Abwasser Wasserzähler auf dem Prüfstand (Vorschau)
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| INTERVIEW<br />
|<br />
werben wollen. Das reicht von der<br />
Unterstützung bei Inbetriebnahme<br />
und beim Einfahren, beim Betreiben<br />
und Warten von Anlagen, über die<br />
Einrichtung eines Mess- oder Abrechnungswesens,<br />
bis hin zu Angeboten<br />
professioneller Finanzierung.<br />
Aber Kooperationen zwischen Herstellern<br />
und Betreibern – zum Beispiel<br />
bei Großprojekten im Ausland<br />
– sind eher selten. Ja, wir sehen sogar<br />
eine gewisse Tendenz, dass<br />
kommunale Unternehmen vor solchen<br />
Aufgaben wieder sehr starke<br />
Zurückhaltung zeigen. Auch wenn<br />
gewisse Risiken bestehen, sollte<br />
hier ein Umdenken stattfinden, um<br />
den Wettbewerbern aus Europa<br />
und im internationalen Geschäft<br />
nicht nachzustehen.<br />
<strong>gwf</strong>: Sind denn Bedenken berechtigt,<br />
dass durch einen offenen Wettbewerb<br />
mehr Billiganbieter <strong>auf</strong> Kosten der<br />
Qualität zum Zuge kommen?<br />
Graß: Die Befürchtung, mindere<br />
Qualität durch europaweite Ausschreibungen<br />
zu erhalten, trifft nicht<br />
zu. Mit heutigem Know-how sind wir<br />
in der Lage, wettbewerbsorientiert<br />
auszuschreiben und dennoch ein<br />
hohes Qualitätsniveau zu fordern<br />
und zu erreichen. Nicht der europäische<br />
oder internationale Anbieter<br />
an sich ist das Problem – dieses lässt<br />
sich durch ein klug gemachtes<br />
Regelwerk in den Griff bekommen.<br />
Schließlich interessieren sich immer<br />
mehr internationale Unternehmen<br />
für unseren Markt und unsere technischen<br />
Regelwerke, sie halten diese<br />
ein und wollen sie mitgestalten.<br />
Nein – entscheidend ist die Einrichtung<br />
einer gut funktionierenden<br />
Marktüberwachung, die möglichst<br />
viele schwarze Schafe vom Markt<br />
fernhält. Übrigens: Schwarze Schafe<br />
gibt es nicht nur im Ausland.<br />
<strong>gwf</strong>: Welche Auswirkungen hat aus<br />
Ihrer Sicht die Entscheidung des Europäischen<br />
Gerichtshofes in Sachen<br />
frabo gegen den DVGW?<br />
Graß: Ich bin kein Jurist – aber soviel<br />
ist klar: Der Bundesgerichtshof<br />
Wir müssen ein neues Gleichgewicht, eine<br />
zukunftsweisende Balance zwischen den<br />
verschiedenen gesellschaftlich geprägten Verhaltensmustern<br />
und Anforderungen herstellen, ohne<br />
einfach immer wieder in das Muster nationaler<br />
Regulierung zu verfallen.<br />
(BGH) wird die Grundsatzentscheidung<br />
des Europäischen Gerichtshofes<br />
(EuGH) nicht korrigieren können.<br />
Im Falle einer Revision dürfte<br />
der EuGH seine Auffassung aller Voraussicht<br />
nach bekräftigen.<br />
Manch einer mag das bedauern,<br />
aber diese Entwicklung war schon<br />
länger absehbar. Frage ist, was machen<br />
wir nun? Denn nicht nur in<br />
Deutschland steht jetzt das bewährte<br />
und erfolgreiche System der<br />
technischen Selbstverwaltung vor<br />
grundlegenden Herausforderungen<br />
und weitreichenden Veränderungen.<br />
Auch in allen anderen Mitgliedsländern<br />
der Europäischen<br />
Union und des europäischen Wirtschaftsraums<br />
wird diese Entscheidung<br />
die Frage <strong>auf</strong>werfen, welche<br />
nationalen Regelungen und Vorgaben<br />
für Produkte im Kontakt mit<br />
Trinkwasser noch mit den Grundprinzipen<br />
des gemeinsamen europäischen<br />
Binnenmarktes vereinbar<br />
sind.<br />
<strong>gwf</strong>: Welche Konsequenzen sind daraus<br />
zu ziehen?<br />
Graß: Die angestoßenen Veränderungen<br />
sollten wir nicht als Gefahr<br />
sondern vor allem als Chance begreifen.<br />
Die eigentliche Botschaft<br />
ist: Wir brauchen eine neue Balance<br />
zwischen Europa und seinen Mitgliedsstaaten,<br />
zwischen rechtlichen,<br />
marktbezogenen, technischen und<br />
gesellschaftlichen Anforderungen<br />
und Herangehensweisen.<br />
Natürlich stehen wir hinter <strong>dem</strong><br />
Gedanken der Nachhaltigkeit. Beim<br />
Trinkwasser steht die Hygiene an<br />
erster Stelle: Risiken für Leib und<br />
Leben müssen nach allgemein anerkanntem<br />
Stand der Technik bestmöglich<br />
ausgeschlossen werden.<br />
Aber eine Nullrisikogesellschaft<br />
kann es nicht geben. Kosten-Nutzen-Analysen<br />
sind kein Teufelswerk<br />
sondern in vielen Lebensbereichen<br />
notwendige und alltägliche Werkzeuge,<br />
mit denen man Entscheidungen<br />
vorbereitet. Und gerade das sogenannte<br />
Vorsorgeprinzip, das die<br />
EU seit Jahren hochhält, bietet gute<br />
Chancen, den Nutzen auch qualitativ<br />
hochwertiger und innovativer<br />
Produkte und Lösungen speziell in<br />
der <strong>Wasser</strong>technik europaweit zu<br />
etablieren.<br />
Genau deshalb ist es sinnvoll, die<br />
Entscheidung des EuGH und auch<br />
des OLG Düsseldorf gründlich zu lesen.<br />
Zwei Aussagen machen die Sache<br />
interessant. Erstens: Auch weiterhin<br />
darf <strong>auf</strong> nationaler Ebene im<br />
Sinne des Gesundheits- und Umweltschutzes<br />
zusätzlich zu europäischen<br />
Vorgaben geregelt werden.<br />
Zweitens: Hinreichende Belege<br />
müssen erbracht werden, dass die<br />
Regelung aus wohlerwogenen<br />
Gründen vorgenommen wird und<br />
nicht der Marktabschottung dient.<br />
Aus meiner Sicht gab es bisher<br />
deutlich zu wenige Versuche auszuloten,<br />
was das konkret bedeutet.<br />
Keine <strong>dem</strong>okratisch gewählte Regierung<br />
kann heute in einer offenen<br />
Informationsgesellschaft ein wirkliches<br />
Interesse daran haben, erkannte<br />
Risiken gerade beim Umgang<br />
mit <strong>Wasser</strong> zu erhalten oder<br />
herunterzuspielen – es geht also in<br />
erster Linie darum, klar zu belegen,<br />
welche Risiken warum und wie<br />
reduziert werden müssen.<br />
April 2014<br />
374 <strong>gwf</strong>-<strong>Wasser</strong> <strong>Abwasser</strong>